< Previous18 Von der verbotenen Frucht hin zum beliebtesten Obst – Erfolgsmodell Apfel Wenn die Geschichte vom Sündenfall stimmt, müssen Adam und Eva Asiaten gewesen sein und der Baum der Erkenntnis im heutigen Kasachstan gestanden haben. Denn die ersten Uräpfel lassen sich im westlichen Teil Asiens nachweisen. Noch heute wird der Asiatische Wildapfelbaum bis zu 30 Metern hoch und mindestens 300 Jahre alt. Von dort aus hat der Apfel seinen Siegeszug begonnen, der ihn heute zum beliebtesten Obst überhaupt hat werden lassen. Beispiellose Karriere Schon in der Antike kamen Äpfel über die alten Handelsstraßen nach Süd- und Osteuropa, zuerst in den Schwarzmeerraum, wo Griechen und Römer sie zu kultivierten begannen. Der Apfel- anbau wurde von den Römern eingeführt, sie nutzten auch bereits Techniken wie Klonen und Pfropfen zur Zucht. Die auf diese Weise gewonnen Früchte hatten mit dem „Original“ nichts mehr zu tun, denn der asiatische Urapfel war klein, holzig und sauer gewesen. Mit den römischen Legionen fand das kultivierte Obst um 100 v.Chr. Verbreitung im übrigen Europa. Schon 200 Jahre später lassen sich umfangreiche Anbaugebiete im gesamten Rheintal nachweisen. Auch Kelten und Germanen nutzten den Apfel, sie kochten ihn zu Brei und vergoren seinen Most mit Honig zu Met. Außerdem schätzten sie ihn als Kult- gegenstand mit mythischem Charakter. Der „Borsdorfer Apfel“ ist die erste, 1170 in einer Chronik der Zis- terzienser beschriebene deutsche Sorte.19 Bericht-Kultur | Apfel2021 Bericht-Kultur | Apfel Seitdem hat der Apfel eine beispiellose Karriere hingelegt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es weltweit rund 20.000 verschiedene Sorten. Dass es einmal so viele waren, liegt auch an einer Beson- derheit des Apfels. Wer die Kerne in den Boden steckt und ab- wartet, erhält nicht etwa die gleiche Apfelsorte, sondern ein völlig anderes Obst. Das macht die Vielfalt theoretisch unendlich groß, wobei der überwiegende Teil dieser Äpfel nicht unseren Vorstellungen von Tafelobst entspräche. Apfelwein- und Cidre- hersteller nutzen die Gerbstoffe dieser „Wildlinge“ allerdings gerne für ihre Zwecke. Apfelzucht findet meist per Pfropfen statt, dabei werden neue Reiser zwischen Stamm und Rinde geschoben. Ende der Vielfalt Heute kennen wir noch gut 1.500 Apfelsorten, eine Rolle spielen aber nur noch rund 60. Im gut sortierten Fachhandel und vor allem auf Märkten erhältlich sind, je nach Region, noch 30 bis 40 Sorten. In den Obsttheken unserer Supermärkte finden sich in der Regel nur noch fünf bis sieben Sorten. Es gibt auch immer wieder neue Züchtungen, die aber auch dem Einheitsgeschmack angepasst sind und vor allem den industriellen Anbaunormen entsprechen müssen. Denn auch Äpfel unterliegen Trends und Moden. Nur drei Apfels- orten machen 70 Prozent des Gesamtangebots aus; Elstar, Gran- ny Smith und Golden Delicious. Sie schmecken alle irgendwie gleich, mit der Vielfalt geht auch immer mehr Qualität verloren. Oft entscheidet nur noch die Farbe über den Kaufentscheid im Supermarkt. Auch hier gibt es Moden. Die Farbe Gelb zieht gar nicht mehr, grün schwächelt, aber rot ist derzeit der Renner. 22 Alte Sorten wie Adersleber Kalvill oder Gravensteiner finden sich nur noch bei Spezialisten und werden dort vor dem Aussterben bewahrt. Sie sind, was Aussehen und Form angeht, oft nicht supermarktkompatibel und verschwinden damit aus der öffent- lichen Wahrnehmung. Was uns da verloren geht, wissen oft nur noch die Pomologen, so heißen die Apfelkundler. Eine Apfelsorte mit dem Namen Signe Tillisch riecht nach Rosen, Taubenäpfel sind schmal und länglich und haben ein leichtes Bittermandelaro- ma. Es gibt Apfelsorten, die nach Marzipan schmecken und der Oldenburger Bockenhusen erinnert an Zartbitterschokolade. Asien ist nicht nur die Heimat der Uräpfel. Heute ist China der wichtigste Produzent von Äpfeln, vor den USA und der Türkei. In Europa liegen Polen, Italien und Frankreich noch vor Deutsch- land. Die jährliche Ernte bei uns beträgt knapp eine Million Tonnen, angebaut wird vor allem im Alten Land rund um Ham- burg und in der Bodenseeregion. Diese Äpfel kommen auch nach Berlin, denn die Menge der in den Anbauregionen Brandenburgs produzierten Tafeläpfel reicht für den Berliner Bedarf nicht aus. Die nicht industriell arbeitenden Obstbauern in Brandenburg haben dazu ähnliche Probleme wie die Milchbauern, sie bekom- men für ihre Qualitätsprodukte zu wenig Geld. Oft sind es nur 30 bis 35 Cent pro Kilogramm, die die Bauern für ihre handge- ernteten Äpfel bekommen. Mit der industriellen Großproduktion und den dort gezahlten Dumpingpreisen können sie nicht mit- halten. Zudem ist die Konkurrenz jenseits der Grenzen groß.23 Bericht-Kultur | Apfel Illustrator Hubert Plücken24 Illustrator Hubert Plücken25 Bericht-Kultur | Apfel Ein Großteil der Produktion wird versaftet. Rund eine Milliarde Liter Apfelsaft wird jährlich in Deutschland produziert, jeder Verbraucher hier trinkt durchschnittlich 7,5 Liter im Jahr. Da- rüber hinaus ist der Apfel Grundstoff für die unterschiedlichsten Alkoholika. Als Ebbelwoi befeuert er die hessische Fröhlichkeit, als Cidre wird er in den Kneipen von der Bretagne bis Schottland ausgeschenkt und die Menge der Apfelschnäpse, -liköre und -brände ist so unüberschaubar wie die Zahl ihrer Hersteller. Einen eigenen Feiertag hat der Apfel übrigens auch, in Deutsch- land ist es der 11. Januar. An dem Tag verteilt die Erzeugerorga- nisation Apfel 25.000 Äpfel in bundesdeutschen Großstädten. In Österreich wird der Tag immer am zweiten Freitag im Novem- ber begangen. Die Briten dagegen feiern am 13. Mai mit dem National Apple Pie Day ihren Apfelkuchen und den International Eat an Apple Day am 17. Juni. Superfood Apfel Der durchschnittliche Deutsche isst im Jahr 25 Kilo Äpfel, und nimmt damit ein ausgesprochenes Superfood zu sich. Denn Äpfel sind gesund. Sie bestehen zu über 80 Prozent aus Wasser, was ihren Kaloriengehalt niedrig hält, und bieten neben dem ange- nehmen Geschmack auch Ballaststoffe, die gut für die Verdauung sind, sowie Pektine, die den Stoffwechsel unterstützen. Schon im Mittelalter waren Äpfel als Heilmittel bekannt. So haben die Früchte, mit Schale gegessen, abführende und keimtötende Wirkung. Äpfel sind magenfreundlich, und wer sie regelmäßig zu sich nimmt, reduziert sein Risiko an Herz- und Gefäßerkran-26 kungen. Umfangreiche wissenschaftliche Studien legen zudem die Vermutung nahe, dass der regelmäßige Genuss von Äpfeln auch krebsvorbeugende Wirkung hat. Wobei das auch für das Trinken von (trübem) Apfelsaft gilt. Das Sprichwort „An apple a day keeps the doctor away“ bringt die gesundheitsfördernden Wirkungen auf einen kurzen Nenner. Wer regelmäßig Äpfel isst, sorgt dafür, dass der Arzt an ihm nichts verdient. So übrigens lautete das Sprichwort im Original, das 1866 in Wales erstmals nachgewiesen wurde, bevor Anfang des 20. Jahrhunderts die uns heute bekannte Fassung vor allem für Gesundheitskampagnen benutzt und zum geflügelten Wort wurde. Trotzdem vertragen rund vier Millionen Menschen in Deutsch- land keine Äpfel, sie bekommen allergische Symptome nach dem Apfelverzehr und meiden die Früchte deswegen. Was nicht sein muss, denn meistens sind nur die hochgezüchteten Supermarkt- klassiker allergen. Sie werden oft mit der für Apfelallergiker besonders problematischen Sorte Golden Delicious gekreuzt. Alte Sorten, wie Gravensteiner, Boskoop oder der Finkenwerder Herbstprinz verfügen über Polyphenole, also aromatische Ver- bindungen, die die Äpfel zwar weniger süß, sie dafür aber auch genießbarer machen. Allergene entwickeln sich zudem bei längerer Lagerung, Äpfel sollten somit immer frisch gegessen werden. Liegen sie zusammen mit anderem Obst in der Schale, sondern Äpfel das Gas Ethen ab, das dazu führt, dass das andere Obst nachreift.27 Bericht-Kultur | Apfel Foto: Florian ProfitlichNext >