< PreviousWie sah Ihr Plan aus, die Vision eines transnationalen Theaters umzusetzen? Von Anfang an habe ich Schauspieler wie Kristof Van Boven, Benny Claessens und den viel zu früh verstorbenen Jeroen Willems, Pierre Bokma und meine Frau Elsie de Brauw mit- genommen. Ich habe versucht, viele Nationalitäten mit un- terschiedlichen Sprech- und Spielweisen für das deutsche Publikum einzuführen. Daran mussten sich auch die deutschen Schauspieler erst einmal gewöhnen. Auf einmal wurden auf dem Innenhof Englisch, Chinesisch, Deutsch, Niederländisch, Finnisch, Estnisch und Ungarisch geredet. Da ging es zu wie beim Turmbau zu Babel. Wie verändert sich ein Theaterstück, wenn Schauspie ler unterschiedlicher Nationalitäten Deutsch mit Akzent sprechen? Es wird anders interpretiert. Am Schluss von „Das schwei- gende Mädchen“ spricht beispielsweise Risto Kübar seinen Monolog wie ein Fremder. Das finde ich gelungen, weil das Publikum vom Klang der Sprache, die von weit weg kommt, berührt wird. Über die Sprache kann man also das Fremde hereinholen. Oder nehmen wir dieses Interview: Obwohl ich in Ihrer Sprache spreche, bringt meine Art zu sprechen andere Bilder in unser Gespräch hinein. Ich bin mir sicher, dass Sie, während wir miteinander geredet haben, sich schon gedacht haben: Was sagt er jetzt? Oder: Das ist aber blöd gesagt. Oder Sie denken: Eigentlich ist das schöne Poesie. So bekommt man einen anderen Blick auf die Welt. So wie ich als Nieder- länder auch einen völlig anderen Blick auf die Welt bekommen habe, seitdem ich in Deutschland bin. Inwieweit lässt sich Internationalität im Theater überhaupt steuern und wo sind Ihnen als Intendant Grenzen gesetzt? Ich habe versucht, Schauspieler, Tänzer, Regisseure und Cho- reographen aus anderen Ländern an das Haus zu holen. Wenn man nun diese Diskussion betrachtet, die auch in München geführt wird, warum hierzulande so wenig Migranten auf der Bühne stehen, dann muss man sagen: Das ist eine Frage der Zeit. In anderen Ländern, zum Beispiel in England oder den Niederlanden, ist die Entwicklung schon weiter vorangeschrit- ten. Ich bin mir sicher: In zehn Jahren wird die deutsche Bühne völlig anders aussehen als jetzt. Inwiefern? Ein Ensemble ist ja immer nur ein kleiner Ausschnitt aus unserer Gesellschaft. Man hat Schauspieler von 22 bis 80 Jahren, die für unterschiedliche Teile der Gesellschaft stehen. Das Ensemble ist ein Abbild des Publikums. So habe ich jedenfalls Ensemblekultur immer verstanden. Nur gibt es in München mittlerweile immer mehr Migranten, aber sie prägen lange nicht die Gesellschaft, so wie in Rotterdam und London. Letztlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch hier mehr Menschen mit einem Migrationshinter- grund auf der Bühne stehen. Aber das ist eine Entwicklung, die „von unten“ kommen muss, und nur begrenzt „von oben“ gesteu- ert werden kann. Sie arbeiten mit unterschiedlichen Genres und Disziplinen. Inwiefern sind die Kammerspiele damit ein Modell für ein Stadttheater? An den Kammerspielen verbinden sich mittlerweile die einzelnen Disziplinen, das Musiktheater, Konzerte, und ganz wichtig, der Tanz. Wir haben Alain Platel und Meg Stuart mit ihren Compa- gnien eingeladen, mit unseren Schauspielern zu arbeiten. Zuletzt standen in der chinesisch-deutschen Koproduktion „Totally Happy“ fünf Schauspieler unseres Ensembles mit fünf chinesi- schen Tänzern auf der Bühne. Unsere „Ritournelle“-Abende waren alle ausverkauft und haben vor allem junge Menschen zum ersten Mal ins Schauspielhaus geholt. Wenn man die Stühle herausnimmt, ist das Schauspielhaus das schönste Tanzlokal Münchens. Ich denke einfach: über ein Theater wie die Kammer- spiele muss in der Stadt gesprochen werden, ob die Menschen nun begeistert sind oder nicht. Man muss ein Repertoire entwickeln, dasdie Disziplinen verbindet, das Publikum kann sich dann auf- regen oder sich inspirieren lassen. Auf welche Projekte freuen Sie sich in dieser Spielzeit noch? Grundsätzlich freue ich mich auf alle Inszenierungen und Projekte. Etwas besonderes ist zum Beispiel der Austausch mit dem Resi- denztheater. Martin Kušej inszeniert bei uns „Jagdszenen in Nie- derbayern“ von Martin Sperr (Anm. d. Red.: Premiere im Feb. 2015). Das freut mich, dass er das macht. Der Stoff ist ihm nahe, denn er kommt auch aus einem kleinen Dorf – wie ich – und kennt sich aus mit Bayern. Stolz bin ich auf Susanne Kennedy! Sie ist eine Ent- deckung von uns. Sie hat zuerst kleinere Werkraumproduktionen gemacht und dann für uns zum ersten Mal auf der großen Bühne „Fegefeuer in Ingolstadt“ inszeniert. Interview | Johan Simons 040Kammerspielen auf der Bühne passiert. Wie verhält sich Jelineks Text zur Realität? Eigentlich handelt der Text von Jelinek, die sich alles angesehen und angelesen hat. Sie kennt die Geschichte der NSU, sie kennt die Geschichte Deutschlands, und sie kennt die griechische Ge- schichte. Das vermittelt sie. Sie sagt, je tiefer man in diesen Stoff eindringt, umso weniger weiß man. Das liegt auch daran, dass die Medien eine verwirrende Rolle gespielt haben, die man auch lesen könnte als eine Verweigerung der Wahrheitssuche. Eigentlich stellt sie Fragen über den Prozess, über Deutschland und seine Vergangenheit. Und inwieweit die Vergangenheit heute eine Rolle spielt. Dieses Thema beschäftigt mich auch. In Hamburg ar- beite ich gerade an der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz. Und dabei habe ich mich gefragt: Wie kann es sein, dass die Soldaten in den letzten beiden Kriegsjahren weitergekämpft haben, ob- wohl sie wussten, sie verlieren den Krieg? Das verstehe ich nicht und vielleicht werde ich es nie verstehen. Die Nazizeit ist vorbei, aber damit ist nicht alles vorbei. Jelinek fragt wie Büchner: „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“ Das ist nicht nur eine deutsche Frage, sondern eine menschliche. Wie kann es sein, dass man in den Zeitungen liest, wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir in einer terroristischen Welt leben? Warum soll ich mich daran gewöhnen? Mich daran gewöhnen, das ist aufgeben. Sie haben einmal gesagt: „Für mich bleibt Theater auch ein Fremdkörper, auch wenn ich es liebe.“ Warum? Weil es nur ein Teil meines Lebens und nicht mein ganzes Leben ist. Wenn ich in meinem Dorf in meinem Land auf dem Deich am Fluss stehe und ich in diesen weiten Himmel gucke, weiß ich: Ich bin nur ein winziger Teil der Schöpfung. Daher kann ich nie sagen: Ich bin das Theater. Von allen Künsten schätze ich am meisten ohnehin die Musik, weil sie am abstraktesten ist. Beim Theater werden Texte gesagt, mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Aber bei der Musik kann ich bei meinen eigenen Gedanken bleiben, das macht die Musik zur größten Kunst. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Simons. Damit wurde sie Nachwuchsregisseurin des Jahres 2013. Nun inszeniert sie „Warum läuft Herr R. Amok?“ (Premiere am 27. No- vember 2014). Ihre Arbeit ist bildreich, extrem und sperrig, aber überzeugend. Ja, und dann ist da natürlich noch Polt. Was erwartet uns bei Gerhard Polt? Das Stück „Ekzem Homo“ (Uraufführung im Februar 2015) ist von Gerhard Polt und den Well-Brüdern geschrieben. Polt sagt, dass das größte Problem für München die Migration der Millionäre ist. Das Zentrum der Stadt, zum Beispiel die Maximilianstraße, glänzt, hat aber seine Münchner Identität verloren. Das kann ich bestä- tigen, denn ich arbeite seit dem Jahr 2003 hier regelmäßig. Oder um es in Anlehnung an Herbert Achternbusch zu sagen: Früher war hier München, jetzt herrscht hier die Welt. Dieses Thema wird Polt aufnehmen, es wird aber nur ein Aspekt der Produktion sein. Um ein ähnliches Thema geht es bei „Hoppla, wir sterben!“ (Ur- aufführung im April 2015) von Arnon Grünberg, das einerseits von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan, andererseits von arabischen Medizintouristen in München handelt. Ja, diese Entwicklung ist auch ein Thema für ihn. Wenn man die Maximilianstraße beobachtet, wo immer mehr Menschen aus den Ölstaaten mit ihren Maseratis und Ferraris auf und ab fahren, um in Luxushotels abzusteigen, dann muss man einfach aufpassen, wohin eine solche Entwicklung führt. Wenn die Welt sich nega- tiv entwickelt, wäre München wahrscheinlich eines der ersten Zentren, das sich von außen abschotten würde, und in das man nur noch mit einem Pass hereinkommt. Gut, das ist ein extrem negatives Weltbild, das ich da zeichne, aber ich denke, man muss aufmerksam sein, dass es nicht so weit kommt. Die Stadt muss weltoffen bleiben – und Weltoffenheit, dafür dient das Theater. Sie selbst inszenieren drei Stücke in dieser Spielzeit: „Das schweigende Mädchen“, „Ekzem homo“ und „Hoppla, wir ster ben!“. Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Stoffe aus? Die Kriterien sind bei jedem Stück anders. Bei „ Das schweigende Mädchen“ war es beispielsweise die Bilderverweigerung, damit das Publikum selbst denken kann. Das Verweigern von Bildern durch Schauspieler und Regisseur ist auch eine Form des Schweigens. Also ist das alles eigentlich ein großes Schweigen. Sie haben den NSUProzess selbst verfolgt und bemerkt, dass dieser genau genommen theatralischer ist als das, was in den 041042Buch-Kultur | Literatur Moths Literatur Moths www.limo.com Rumfordstraße 48 80469 München T: +49 (89) 29161326 F: +49 (89) 29161552 Öffnungszeiten: Werktags 10:00–19:00 Uhr Samstags 10:00–16:00 Uhr Bestellen Sie doch, was Sie wollen in unserem Online-Shop „Poetisiert Euch!“ 043Raumgestaltungs-Kultur | I*am i*am interior.architects.munich Innenarchitektur www.interiorarchitectsmunich.com Müllerstraße 20 80469 München T: +49(89)23547906 studio@interior-architects-munich.com 044Zirkus-Kultur | Artistenschule Artistenschule München www.mim-verein.de kontakt@mim-verein.de Ein Projekt des Vereins Menschen in München- Münchner Freiheit e.V. www.artistenschule-muenchen.de Zirkusarbeit unterstützt und fördert Kinder in ihrer körperlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung. Die Kinder der Familien aus unserer Initiative nehmen deshalb immer wieder an solchen Ferien- angeboten teil und wir haben gesehen, wie gut ihnen das tut. Deshalb enga- gieren wir uns schon seit 2006 aktiv für mehr Zirkus für Kinder und Jugendliche in München. Im Projekt „Artistenschule München“ initiieren wir ganzjährige Traiinings mit unserem Showtrainer DAvid Rashid in Kooperation mit den Sportvereinen USC (Universitäts-Sportclub e.V.) und FTM (Freie Turnerschaft München-Süd in unterschiedlichen Stadtteilen. Unser Ziel: mehr Nachhaltigkeit. Die Ar tisten- schule München soll dabei als virtuelles Dach die Ar tistikaktivitäten in den Verei- nen koordinieren, ergänzen, durch einen gemeinsamen Markenauftritt kommuni- zierbar machen und durch gemeinsame Aktivitäten wie z.B. Akrobatik-Shows aufwerten. Kontakt: info@artistenschule-muenchen.de 045hw.d magazin Das bimediale Magazin über Design, Kultur, Wirtschaft und Persönlichkeiten. Als iPad-App sowie als gedrucktes Magazin verfügbar. Design-Kultur | hw.design 046hw.design contemporary communication www.hwdesign.de Türkenstraße 55–57 80799 München T: +49 (89) 2025750 info@hwdesign.de 047Ausbau-Kultur | Villa Rocca Empfehlung der RoC-Botschaft Freiburg Architektur: gloeckner-architektur.de 048Villa Rocca Die Manufaktur www.villarocca.de Auerstraße 6 79108 Freiburg T: +49 (761) 44 0 48 Einfach Guter Beton. Ehrlich! Empfehlung der RoC-Botschaft Freiburg 049Next >