< Previous28 Ein interdisziplinäres Team aus Denkmalpflegern, Bauforschern, Stein- metzen, Restauratoren und Kunsthistorikern trägt die Informationen am Bauwerk zusammen und bewertet diese. Erst dann werden die entspre- chenden Sanierungsmaßnahmen festgelegt. Heute bemüht sich die Münsterbauhütte darum, so wenig originale Steine wie nötig auszutauschen und so viel wie möglich an der ursprüng- lichen Stelle zu erhalten. Je nach Intensität der Schädigung können unterschiedliche Erhaltungs- maßnahmen durchgeführt werden. Wenn der Stein absandet, weil er durch die Einwirkung von saurem Regen sein Bindemittel verloren hat, ersetzt Kieselsäureester dieses in den oberen Schichten. Kleinere Fehl- stellen werden mit speziellem Restauriermörtel geschlossen, um die Oberflächen zu glätten, damit das Regenwasser besser abfließen kann. Auch kleinere Risse können mit entsprechendem Material verfüllt wer- den, so dass die Schädigung des Steines gestoppt wird. Jede ausgeführte Maßnahme wird nach Abschluss der Arbeiten ausführlich dokumentiert, auch um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Eingriffe später bewer- ten zu können. Diese Tätigkeiten sowie der Bau der Gerüste gehören heute zum Berufs- bild eines Steinmetzen und sind Bestandteil der Ausbildung in der Müns- terbauhütte. Grundlage des Berufs sind jedoch nach wie vor die Kenntnis und die Beherrschung der alten traditionellen Steinmetztechniken. Trotz aller Bemühungen um den Erhalt der mittelalterlichen Steine müssen diese doch immer wieder ersetzt werden. Entweder durch ein Teilstück, eine sogenannte Vierung, oder ein neu geschlagenes Werkstück. Geolo- gen und Mineralogen überprüfen zuvor den neuen Sandsteinblock auf seine Zusammensetzung und Eignung für den Einbau am Münster, dann beginnen die Steinmetze, aus dem Quader die gewünschte Figur oder das Architekturelement herauszuarbeiten. Detailgetreu wird das Vorbild ko- piert – eine Arbeit, die Fingerspitzengefühl und Ausdauer verlangt. Zur- zeit sind 17 Steinmetze und Bildhauer in der Münsterbauhütte tätig, die sich nicht nur für den Erhalt des Bauwerkes, sondern auch für den Erhalt der entsprechenden Handwerkstechnik einsetzen. Denn die Arbeitsweise der Steinmetze hat sich seit dem Mittelalter nur geringfügig geändert. Noch immer müssen sie in der Lage sein, Skulpturen und anspruchsvolle Architekturteile freihändig zu kopieren, was hohe Ansprüche an ihre handwerkliche Fertigkeit stellt. Die wichtigsten Arbeitsmittel wie Knüp- fel, Meißel und Winkel sind dabei im Prinzip die gleichen wie vor 800 Jahren. Allerdings erleichtern heute einige technische Hilfsmittel die körperliche Arbeit. Bei bestimmten Arbeitsschritten nehmen die Stein- metze die Unterstützung von Pressluft in Anspruch. Trotzdem bestimmt am Schluss der von Hand geführte Meißel das optische Erscheinungsbild des Werkstücks. Motorisierte Hebezeuge wie Motorwinde oder Bauauf- zug helfen beim Ausbau, Transport und Einbau der schweren Werkstücke am Bauwerk. Bereits im Mittelalter wurden mechanische Hilfsmittel wie Transporträder, Rollen und Flaschenzüge eingesetzt, diese mussten jedoch im Unterschied zu heute mit Muskelkraft bedient werden. Trotz aller technischen Unterstützung beschäftigt heute noch eine überlebens- große Apostelfigur beispielsweise einen Bildhauer über neun Monate lang. Andreas Steffan, Bildhauer Florian Prußait, Steinmetz29 Handwerks-Kultur | Münsterbauhütte Tamer Demirel, Steinmetz Foto: Günter Ludwig30 Arbeitsplatz Münster: Drei Fragen an Hüttenmeister Uwe Zäh RoC: Sie sind spezialisiert auf die Gesteine und Formen des Münsters. Was fasziniert Sie besonders an Ihrer Tätigkeit? UZ: Für mich ist das Münster seit dem 13. Jahrhundert wie ein faszinie- rendes Langzeitlabor. Man kann die Entwicklung des Steins und seiner Setzung nachvollziehen und daraus lernen. Jede Generation, die hier arbeitet, hinterlässt die Spuren ihrer Zeit. So kann ich sozusagen die Spuren all derer lesen, die seit dem Baubeginn bis jetzt am Steinwerk des Münsters gearbeitet haben. Daher sollte jeder äußerst respektvoll mit der bestehenden Bausubstanz umgehen. Sehr wichtig ist für uns, dass wir nachhaltige Arbeitsmethoden einsetzen, denn ein gut ausgewählter und richtig bearbeiteter Stein besitzt eine hervorragende Ökobilanz. RoC: Wenn Sie eine schadhafte Stelle am Münster vor sich haben: Wie gehen Sie vor? UZ: Da uns bewusst ist, dass wir in ein System eingreifen und dabei Veränderungen auftreten, ist für uns eine gründliche Analyse Vorausset- zung, um einen Handlungspfad zu entwickeln. Dazu gehören zahlreiche vorbereitende Tätigkeiten wie die Bestands- und Maßnahmenplanung. An diesem Prozess sind zahlreiche Spezialisten wie Vertreter der Denk- malpflege, Metallexperten, Statiker, Chemiker, Mineralogen, Kunst- historiker, Bauforscher und Farbrestauratoren beteiligt. Intern finden wöchentlich Arbeitsbesprechungen mit der Münsterbaumeisterin statt, bei denen der aktuelle Stand vorgelegt und besprochen wird, um weitere Schritte zu entscheiden. RoC: Ihre persönlichen Münster-Top 3: Was ist Ihr Lieblings- stück, Ihr Lieblingsort und Ihre Lieblingszeit am Münster? UZ: Mein Lieblingsbestandteil am Münster ist die Turmspitze. Ich halte mich am liebsten am Chor auf, unter dem „Strebebogengewölbe“. Und das bevorzugt am Nachmittag, wenn der Markt zu Ende ist und unten auf dem Münsterplatz Ruhe einkehrt. Foto: Jakob Schnetz, www.jakobschnetz.com Florentine Sommer, Steinmetzin31 Handwerks-Kultur | Münsterbauhütte Uwe Zäh, Hüttenmeister32 Augustinermuseum Städtische Museen Freiburg www.freiburg.de/museen Augustinerplatz, 79098 Freiburg, T: +49 (761) 201-2531 Foto: Thomas Eicken Skulpturenhalle im Augustinermuseum33 Handwerks-Kultur | Augustinermuseum – Städtische Museen Freiburg Kunst & Handwerk Denkt man heute an Menschen, die als Beruf „Künstler“ angeben, greift man gerne zum Klischee „brotlose Kunst“. Dies galt aber zumindest bis ins 18. Jahrhundert kaum, denn einen eigenständigen Beruf als „freischaffender Künstler“ gab es damals nicht. Die Kunst ordnete sich weitgehend den Bedürfnissen und Forderungen der Auftraggeber unter, also der Kirche, dem Adel oder den Bürgern. Maler, Bildhauer, Baumeis- ter, Graphiker, Illustratoren oder Silberschmiede gehörten ebenso zu den Handwerkern wie Bäcker, Metzger oder Schneider. Die Vorstellung vom einsamen Genie, das aus eigenem Antrieb in seinem Atelier her- ausragende Werke schafft, ist romantischen Vorstellungen im vorletzten Jahrhundert geschuldet und entspricht kaum der Realität. Wer seine Aufgaben gut und „kunstreich“ erfüllte, konnte sehr gut davon leben und zählte häufig zu den Spitzenverdienern der mittelalterlichen und früh- neuzeitlichen Gesellschaft. Eine Trennung zwischen „Kunst“ und „Kunsthandwerk“, mit der man heute zwischen dem eigenständige Kunstwerke schaffenden Künstler und dem schöne Dinge ohne Kunstanspruch produzierenden Handwerker unterscheidet, gab es früher nicht. Handwerkskunst und Kunst waren deckungsgleiche Begriffe. Zeugnisse davon sind im Augustinermuseum reichlich zu sehen, sie reichen vom Mittelalter bis in die Barockzeit. Dar- unter sind Spitzenwerke der Glasmalerei vom 13. bis ins 16. Jahrhundert, Skulpturen in Stein, Holz und Keramik, Schmiedearbeiten aus kostbars- ten Materialien, prachtvoll gewirkte oder gestickte Teppiche und eine Fülle von Gemälden aus Kirchen und Klöstern – viele Objekte stammen aus dem Freiburger Münster. Die Schöpfer der meisten Werke des Mittel- alters sind anonym geblieben. Man hilft sich mit Notnamen wie „Meis- ter des Hausbuchs“. Es war lange nicht üblich, Werke zu signieren. Ein Altar entstand zudem im Zusammenwirken mehrerer Handwerker. Auch wenn wir heute bei einem geschnitzten Altarschrein die Skulpturen des Bildhauers als das eigentliche Kunstwerk ansehen, für die Zeitgenossen war die Arbeit des Malers, der die geschnitzten Bilder mit einer farbigen Fassung versah und vergoldete – also erst vollendete – höher angesehen als die des Schnitzers. So war beispielsweise der Nürnberger Bildhauer Veit Stoß, der vor allem in Polen arbeitete, als Fassmaler und Vergolder fremder Werke ebenso berühmt und hochbezahlt wie als Schnitzer eige- ner Arbeiten. In den ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auftauchenden unge- fassten Skulpturen im Holzton mit wenigen lasierenden Farbakzenten mag man durchaus eine gewisse Emanzipation der Bildschnitzer sehen. Seit der Renaissance in Italien wandelte sich zwar das Selbstbild des Künstlers zunehmend, doch die enge Bindung ans Handwerk blieb noch lange bestehen. Albrecht Dürer beklagte sich bei seiner Reise nach Vene- dig über die Nürnberger Verhältnisse und schrieb an seinen Freund, den Humanisten Willibald Pirckheimer: „O wie wird mich nach der Sonne frieren! Hier bin ich ein Herr, zuhause ein Schmarotzer.“ Auch heute als wichtigste Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit angese- hene Maler wie Hans Baldung Grien unterstanden selbstverständlich den Regelungen des Handwerks. Nach einigen Jahren in Nürnberg, wo er als Altgesell – Vorsteher der Gesellen und Vertreter des Meisters – in Albrecht Dürers Werkstatt gearbeitet hatte, war Baldung an den Oberrhein zu- rückgekehrt. Er hatte sich als Bürger in Straßburg niedergelassen, Haus und Grund erworben, geheiratet und somit die Voraussetzungen geschaf- fen, als Mitglied der Straßburger Malerzunft eine eigene Werkstatt und den Meistertitel zu führen. Als Baldung kurz danach den Auftrag für den Hochaltar im neuen Chor des Freiburger Münsters erhielt, musste er wie jeder andere Handwerksmeister am neuen Ort seiner Tätigkeit ein Haus erwerben, seine Steuern als hiesiger Bürger zahlen und in die örtliche Malerzunft eintreten. Denn nur ein Freiburger Zünftiger durfte hier Auf- träge annehmen. In seiner knapp vier Jahre umfassenden Freiburger Zeit betrieb Baldung seine gesamte Werkstatt hier und schuf neben dem Altar weitere Werke, von denen einige im Augustinermuseum zu sehen sind. Der aus einer Akademikerfamilie stammende und hochgebildete Baldung war sich seines überragenden Talentes wohl bewusst und signierte sein Hauptwerk stolz: „Hans Baldung genannt Grien hat dies mit Gottes Hilfe und aus eigener Kraft gemacht.“ Der Name von Baldungs heute berühmtem Zeitgenossen Mathis Neithard Gothard wurde erst im 20. Jahrhundert aufgedeckt. Im 17. Jahrhundert war von dem Künstlerbiografen Joachim Sandrart der Name „Matthias Grünewald“ erfunden worden. Sein Hauptwerk, der Isenheimer Altar im Colmarer Unterlindenmuseum, ist nicht signiert. Mit dem Monogramm „MNG“ ist dagegen der Rahmen der berühmten Stuppacher Madonna, das Mittelbild des Aschaffenburger Altars, versehen. Einen der Seiten- flügel besitzt das Augustinermuseum. Er zeigt die Gründungslegende der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom. Die Gottesmutter selbst wies mit dem Schneewunder im heißen August den Bauplatz der Kirche. Die Signatur eines anderen Monogrammisten, des Meisters „H. L.”, konnte bisher nicht schlüssig aufgelöst werden. Sein Hauptwerk ist der Hoch- altar des Breisacher Münsters, im Augustinermuseum ist seine virtuos geschnitzte Gruppe mit der Darstellung des Sündenfallszu sehen. Einen selbst im 18. Jahrhundert für Freiburg noch ungewöhnlichen Weg war ein junger Bildhauer gegangen, der nach seiner handwerklichen Ausbildung in Freiburg und einer Gesellenzeit in Straßburg beschloss, auf die Kunstakademie in Rom zu gehen. Dort bildete sich Johann Chris- tian Wentzinger zum akademischen Künstler fort. Ein späterer Aufent- halt an der Pariser Akademie vollendete seine Fähigkeiten als Maler. Als Akademiker unterlag Wentzinger nicht mehr dem Zunftzwang. Er musste keinen Meistertitel führen, um Aufträge anzunehmen, und konnte frei agieren. Er konnte meist jüngere, talentierte Kollegen anstellen, die seine Entwürfe umsetzten und später selbst an gute Aufträge kamen. Eine Aus- wahl von Arbeiten Wentzingers und seiner Mitarbeiter ist im ehemaligen Chor der Augustinereremitenkirche zu sehen. Dazu zählen einige Prozes- sionsbüsten der Freiburger Handwerkszünfte, die zwischen der Mitte des 17. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts geschaffen wurden. Einige sind noch heute in liturgischem Gebrauch und werden bei der Fronleichnams- prozession durch die Innenstadt getragen. Peter Kalchthaler, Leiter des Museums für Stadtgeschichte und stellvertretender Leiter des Augustinermuseums34 „Sie versetzen kleine Die Skulptur transversal aus Urgestein der Vogesen und dem Schwarzwald, konzipiert von Jochen Kitzbihler, wurde in einem kooperativen Prozess bei Jogerst Steintechnologie in höchster Präzision gefertigt. Ein eindrucksvolles Zeichen des Übergangs vor der Europabrücke in Kehl, auf das Jogerst Steintechnologie gemeinsam mit dem Künstler stolz ist! Zusammen mit anspruchsvollen Auftraggebern versetzten sie Berge … dans toutes directions. transversal, Kehl vor der Europabrücke, Schwarzwaldgranit und Vogesengranit in seriellem Wechsel, 2,12 x 2,12 x 11,70 m35 Handwerks-Kultur | Jochen Kitzbihler, Jogerst Steintechnologie Jochen Kitzbihler Freier Künstler und Bildhauer www.kitzbihler.de Merzhauser Straße 159 79100 Freiburg T: +49 (761) 50 31 28 74 Jogerst Steintechnologie Michael Walter, Steinmetz- und Steinbildhauermeister www.jogerst.com www.lixos.com Konrad-Adenauer-Straße 1 77704 Oberkirch T: +49 (7802) 70 44 99 0 und große Berge. Gemeinsam.“36 Werner Berges galerie pro arte www.galerieproarte.de DavisKlemmGallery www.davisklemmgallery.de Kunst trifft Handwerk. Nur so kann er springen. Der Turmspringer wurde im Jahr 2008 von dem Künstler Werner Berges entworfen. Auftraggeber war die Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer für eines der Kranhäuser in Köln. Diese stehen direkt am Rhein und wurden vom Architektenbüro BRT Bothe Richter Teherani entworfen. Das Kunstwerk wurde nur ein Jahr später auf die ca. 150 m2 umfassende Glasfassade des Auf- zugsturms mit Hilfe eines Hubsteigers montiert. Dieses Projekt wurde möglich, weil Kunst und Handwerk sich eindrucksvoll ergänzten. Die gezeigten Abbildungen sind Beispiele für die eindrucksvolle und gelungene Zusammenarbeit zwischen Kunst und Handwerk. Idee, Material und Form beeinflussen und bedingen sich gegenseitig und es ist perfekt, wenn sie von gleicher Qualität sind. Siegfried Polewka-Lohbreier Technische Umsetzung www.archi-novum.de „Der Turmspringer”: Entwurf von Werner Berges zum Kranhaus Köln. Foto: Octavia Schlick, Düsseldorf37 Handwerks-Kultur | Werner Berges Montage auf 60 m Höhe mit einem Hubwagen. Das Gespräch zwischen Kunst und Handwerk. Die Kenntnis über das Handwerk und seine jeweilige Technik erweitern den Spielraum künstlerischer Umsetzung. Foto: Octavia Schlick, Düsseldorf Foto: Johannes Höchner, FreiburgNext >