< PreviousDas Auto ist unsere Skulptur der Gegenwart. Interview | Dr. Thomas Girst 050Im sogenannten Vierzylinder von BMW – wer kennt diese Architektur- Ikone nicht? Das Gebäude steht für technisch inspiriertes Design und hat, losgelöst von seiner Funktion als Hauptverwaltungsgebäude der BMW Group betrachtet, das Potential als reines Kunstobjekt wahrgenommen zu werden. Hier arbeitet auch Dr. Thomas Girst, Leiter des inter- nationalen Kulturengagements der BMW Group und Europäischer Kulturmanager des Jahres 2016. Man spürt sofort: Girst brennt für die Kunst und hat als promovierter Kunstgeschichtler den analytischen Blick auf die Entgrenzung der Bereiche Kunst, Design und Archi- tektur der letzte Jahre. Ein Gespräch mit ganz schön viel PS. Das BMW Art Car Programm ist das prominenteste Beispiel dafür wie Design und Kunst bei BMW zusammenfinden. Wie reagieren die Künstler, die Sie ansprechen – immerhin handelt es sich bei einem Automobil um ein zweckgebundenes Design- objekt? Die BMW Art Car Reihe war nie dazu da, ein Designobjekt dadurch zu einem Kunstobjekt zu erhöhen, dass ein Künstler die Oberfläche verändert. Das wäre zunächst wichtig festzuhalten. Die Künstler der BMW Art Car Reihe werden zudem nicht von uns und auch nicht von der Designabteilung gewählt, sondern von einem unabhängi- gen Kuratorium zeitgenössischer Museumsdirektoren. Uns ist sehr wichtig, dass diese von allen Kontinenten kommen und das Gre- mium möglichst paritätisch mit Männern und Frauen besetzt ist. Es soll breit aufgestellt sein, was die Expertise der Kuratoren angeht. Da ist Richard Armstrong, der Direktor des Guggenheim Museum in New York dabei, wie auch Bisi Silva, die Direktorin des Centre for Contemporary Art in Lagos in Nigeria. Es ist Gabriele Horn mit dabei, die die Berlin Biennale leitet, sowie Hans-Ulrich Obrist, der Künstlerische Direktor der Serpentine Gallery in London oder Philip Tinari, Direktor des Ullens Center for Contemporary Art in Peking. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin von diesen Kunst-Experten angesprochen wird, ist das natürlich ein Ritterschlag, der weit in die Arbeit und den Werdegang eines Künstlers hineinwirken kann, über die Arbeit am BMW Art Car hinaus. Ein Beispiel. Dass jetzt in Eu- ropa, in Amerika und in China so großes Interesse an Ausstellungen der chinesischen Künstlerin Cao Fei besteht, verdankt sich nicht zuletzt auch ihrer Kooperation mit der BMW Art Car Reihe. Zum Teil vergehen längere Zeiträume von einem zum nächsten Art Car … Manchmal sind es sieben bis acht Jahre, darin liegt die Glaubwür- digkeit der Reihe. Sie wird bewusst nicht in einem festen Raster genutzt, um bestimmte Serienfahrzeuge durch ein entsprechen- des Marketing zu begleiten. Es geht hier um eine ganz autarke, man könnte fast sagen, Marke, innerhalb der BMW Group. Die Künstler können gewiss sein, dass sie mit der Art Car Reihe auf den Schultern von Giganten stehen. In dieser Reihe sind einige der bedeutendsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertreten. Rauschenberg, Andy Warhol, Frank Stella, David Hockney … Alexander Calder, Jenny Holzer, und auch einen australischen Aboriginal Künstler, Michael Jagamara Nelson, als auch Esther Mahlangu, Stammeskünstlerin aus Südafrika. Das heißt, was die Positionen und die Signifikanz dieser Künstler anbelangt, kann ich mir auch gut vorstellen, dass ein potentieller BMW Art Car Künstler auch unter kreativen Druck gesetzt gerät (lacht). Für Jeff Koons war es wichtig, Teil dieses Pantheons von Künstlern zu werden, die er bewundert, wie etwa Warhol und Lichtenstein. John Baldessari dagegen sagte, das ist alles Konkurrenz für mich. Aber ganz gleich, ob man es nun als Pantheon oder als Konkurrenz bezeichnet, man setzt sich damit auseinander, man misst sich an den Größen, die vorher da waren. Das macht das Ganze spannend, denn ein Art Car erzählt nicht nur für sich selbst eine Geschichte, sondern auch, in welchem Verhältnis es zu den anderen Autos steht. Da kommen dann Design- und Kunstaspekte zum Tragen. Dass die Nummer von Jeff Koons‘ Fahrzeug, die 79, das Jahr ist, in dem Andy Warhols Auto in Le Mans fuhr ist ja kein Zufall, daswar von Koons so ge- wünscht. Das meine ich mit den manchmal filigranen, manchmal offensichtlichen Beziehungen zwischen den Art Cars. Prägend für die Art Car Reihe waren zunächst Pop Art-Künstler. Hatte die Pop Art von sich aus schon eine größere Nähe zum Design? Interview: Paul Wagner, Fotos: Daniel Breidt 051Das war nicht der Grund, warum man diese Künstler anfragte. Die BMW Art Car Reihe ist nicht daraus erwachsen, dass PR- und Mar- keting-Spezialisten an einem Tisch saßen und sich überlegten, wie man die Kunst zum Automobil bringen könnte oder umgekehrt. Die Reihe erwuchs aus der Leidenschaft von BMW Rennfahrer Hervé Poulain, sowohl für den Rennsport als auch für zeitgenössi- sche Kunst. Diese Künstler, Calder, Warhol, Lichtenstein, Stella, die Art Car Künstler der ersten Stunde, waren Freunde oder gute Be- kannte von Poulain. Oder zumindest Personen, die durch befreun- dete Galeristen Zugang zu ihm hatten. Es war also weniger die Überlegung, ob die Pop Art jetzt zwingend die beste Kunstrichtung für die Art Cars sei, sondern das waren eben die Künstler, denen Poulain nahe stand. Eine wunderbare Symbiose, die sich einfach so ergeben hat. Wenn wir nun von der Schnittstelle Design und Kunst sprechen, die diese Reihe ja wunderbar zur Schau stellt, und zwar konzeptionell genauso wie visuell, dann ist das natürlich eine spannende Wechselwirkung. Ich würde Ihnen recht geben, dass die Pop Art, die sich ja dem Objekt verschrieben hat, die sich auch dem Kommerz geöffnet hat, die auch darauf aus war, möglichst breit wahrgenommen zu werden und in Gebiete hineinzuwirken, die außerhalb dessen liegen, was man in den Sechziger Jahren noch als Kunst bezeichnet hat, dass diese Pop Art ein perfektes Match war für die BMW Art Car Reihe, also für die Gestaltung eines Industrie- Designobjekts. Egal wie singulär der einzelne Rennwagen gewesen sein mag. Was für mich die BMW Art Car Reihe definiert ist, dass Künstler von Automobilen fasziniert sind, seit sie erfunden wurden. Es gibt eine Lithographie von Henri de Toulouse-Lautrec aus dem Jahr 1898, L’Automobiliste, die einen Rennfahrer zeigt, der durch Paris rast. Wirkennen die große Faszination der Futuristen für das Fahrzeug, für das Synästhetische dieser Fahrzeuge. Dass man den Geruch, die Geschwindigkeit, das Design wertschätzt ist etwas, das sich Künstler spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Avantgarden auf die Fahnen geschrieben haben. Das Automobil ist unsere Nike von Samothrake, ist unsere Skulptur der Gegenwart – diese Formulierung ist aus dem Futuristischen Manifest von 1909. Die BMW Art Cars tragen bei zu einer ein Jahrhundert weit über - spannenden Faszination von Künstlern für die Mobilität. Eine Art Paradigmenwechsel zeichnete sich mit Ólafur Elíassons Art Car Entwurf von 2005 ab. Ein Fahrzeug mit Wasserstoffan- trieb und einer spektakulären Karosserie aus Eis. Der Entwurf wurde besonders von Designern gefeiert. Wie lässt er sich ins Gesamtgefüge der Art Cars einordnen? Zur Zeit von Ólafur Elíassons Art Car hatte sich der Kunstbegriff verändert und erweitert, dahingehend, dass nun auch der Bereich Design, der früher durch eine Demarkationslinie von der Kunst ge- trennt war – frei nach einem Verständnis, das besagt: Kunst ist frei, Design ist beauftragt – für die Kunst relevant wurde. An weltweit renommierten Ausnahmekünstlern wie Elíasson sieht man, dass sie sich an genau dieser Schnittstelle bewegen, der Schnittstelle nicht nur zwischen Design und Kunst, sondern auch zur Architektur. Das ist das, wofür das Atelier oder vielmehr das Lab von Ólafur Elíasson auch steht. Übrigens ohne, dass man dort in einen inneren Zwist tritt, sondern im Wissen, dass das Eine ja das Andere bedingt und umgekehrt. Das halte ich auch als künstlerisches Konzept für sehr faszinierend. Duchamps und Brâncușis Erstaunen über die perfekte techni- sche Form eines Propellers im Jahr 1912 auf der Luftfahrtschau im Pariser Grand Palais eröffnet die Frage nach der Ästhetik der Technik, an der sich die Kunst, nach Duchamps, fortan messen lassen müsse. Wo stehen wir heute? Bei Ólafur Elíasson ist es so, dass gerade die Technik ihn zum Taschenspielertrickkünstler machen könnte, aber er ist ja gerade jemand, der das Wie eines Kunstwerks offenlegt. Einerseits faszi- nieren Ólafurs Werke so, dass man ihnen auf eine sektenhafte Art verfallen könnte. Das weiß niemand besser als er selbst, und er ist deshalb auch jemand, der diese Prozesse offenlegt. Ob er jetzt sel- ber einen Kunst- oder einen Design-Workshop präsentiert wie auf der Biennale in Venedig dieses Jahr und Objekte unter dem Zeugnis der Betrachter geschaffen werden. Oder ob er, wie bei seinen gro- ßen Kunstwerken, tatsächlich immer wieder auch zeigt, wie das gemacht wurde, um nicht in diese Illusionshudelei zu verfallen. Technik und Design sind aufs Engste verbunden. Technik und Kunst pflegen ein etwas distanzierteres Verhältnis? Als die Kunst durch die Fotografie einen Großteil ihrer Daseins- berechtigung verlor, weil es eben nicht mehr darum ging, das abzubilden, was man sah, und die Kunst dann auch sehr schnell den Weg in die Abstraktion ging und sich der neuen, bahnbrechen- den Wissenschaft bediente, von Röntgenstrahlen bis neuesten Erkenntnissen in der Naturwissenschaft, da war das eine sehr gute Art der Auseinandersetzung zwischen Kunst und Technik. Sie führte zwar für einige Künstler in die Sackgasse, weil es eben nichts mehr darzustellen gab, das ästhetisch so ansprechend war wie ein Gebrauchsgegenstand. Wobei ich darauf hinweisen muss, dass Duchamp ja immer klarmachte, seine Readymades nicht aus ästhetischen Gründen auszuwählen, sondern über ein Zufall- sprinzip, weil er eben nicht der Schönheit eines Objekts verfallen wollte. Design wird heute auch auf Auktionen gehandelt. Ist damit das letzte Unterscheidungskriterium zwischen Kunst und Design gefallen? Wann ging das los, dass auch große Bluechip-Galerien in New York anfingen, Designer zu vertreten? Dass mit einem Mal ein großer Markt da war für Prototypen? Über Eileen Grays Dragon Chair von 1917, der für 28 Millionen Dollar versteigert wurde, brauchen wir gar nicht zu reden, oder über Marc Newsons Lockheed Chair, der ebenfalls erstaunliche Werte erlöste. Es eröffnete sich in den spä - ten 90ern auch für Designer ein Markt. Davor gab es in den 80ern die High-versus-Low-Debatte, die vielleicht ja auch eine Debatte war zwischen Kunst und Design. Generell: Dass wir die Auflösung von Grenzen erfahren ist ja überall wahrnehmbar, einhergehend mit der Gefahr der Inflationierung der Begrifflichkeiten. Wenn Sie im DB Bord-Restaurant das Essen "kuratiert" bekommen, dann hat der Begriff des Kurators einen Bedeutungsverlust erfahren. Und so ist das natürlich auch mit den Künstlern, immer mehr Menschen fühlen sich zum Künstlertum berufen, es gab Strömungen an den Universitäten, die sich für die Auflösung von High-versus-Low, für die akademische Auseinandersetzung mit "Low" verwendet haben. Dass man sich nicht immer nur die hehre Kunst, wie auch immer diese definiert ist, anschaut. Wenn man weiß, dass Roy Lichtenstein von Cartoons beeinflusst ist, man sich eben auch aka- demisch-wissenschaftlich aufbearbeitet fragt, was sind denn das für Cartoons? Ich sage aber, wenn wir uns 2017 anschauen, dann hatte die High-versus-Low-Debatte, also dieses Öffnen der Tür, zu etwas geführt, was letztlich das qualitativ Herausragende wieder schützenwert macht. Und was das ist, das ist schwerer zu erken- nen. Das Hässliche hat eine unglaubliche Macht sich auszubreiten. Das Schöne gilt es zu schützen. Wobei Sie dann natürlich sofort bei der Debatte sind: Was ist denn dann das Schöne? Ich glaube, um wieder mit Duchamp zu sprechen, dass Kunst eben mehr als das sein kann, was vom Auge wahrgenommen und als gut oder schlecht befunden wird, sondern weit darüber hinaus etwas zum Erkenntnisgewinn beiträgt – und der ist nie für Nichts zu haben. Danke für das Gespräch! 052Interview | Dr. Thomas Girst BMW Group @BMWGroupCulture 053„Façades“: Museum, Munich (#2), 2011, 180 x 125 cm Fotografie-Kultur | Roland Fischer 054„Façades“: Uniqlo, Osaka, 2014, 180 x 125 cm 055Bilder der Moderne. Interview | Roland Fischer 056Roland Fischer zählt zu den interna- tional bedeutendsten Fotokünstlern. Man mag es kaum glauben, aber studiert hat Fischer Mathematik. Aus der Not heraus, wie er sagt. Damals,als er Fotografie hätte studieren wollen, gab es an der Kunst- akademie München schlicht noch keine Fotoklasse. Fischer hatte aber einen Ersatzlehrer, den Konzeptkünstler Roman Opalka, auf dessen französi- schem Landsitz er regelmässig zu Gast war. Obwohl er von seinen Künstler- freunden dazu gedrängt wurde, auch Freie Kunst zu studieren, entschied er sich dagegen. Der Grund leuchtet ein: Fischer arbeitete bereits an seinem ersten Portrait-Projekt „Nonnen und Mönche“, mit dem er international bekannt wurde und welches bereits 1989 in einer großen Einzelausstellung im Musée d‘Art Moderne in Paris präsentiert wurde. Ihren Anfang nahm die fotografische Karriere Fischers übrigens, als er mit vierzehn Jahren die Dunkelkammer seines Onkels erbte. Herr Fischer, wer die Werke Ihrer Reihe "Façades" betrachtet, hat zunächst den Eindruck, es handelt sich um rein grafische Arbeiten. Wie finden Design und fotografische Kunst hier zu- sammen? Dieses Begriffspaar spiegelt sehr schön die der Fotografie als Medium grundsätzlich innewohnede Ambivalenz, nämlich auf der einen Seite ihre Indexikalität, also die Möglichkeit, ein unver- gleichlich genaues Abbild herzustellen und auf der anderen Seite die Existenz einer Fotografie als autarkes Bildwerk. In der Serie "Façades" habe ich die einzelnen Bilder so angelegt, dass beide Aspekte voll ausgeprägt sind und vor dem Auge des Betrachters ständig changieren. Design ist hier insoweit involviert, als die Oberfläche eines Geschäftsgebäudes natürlich auf einer grafi- schen Gestaltung basiert. Wo liegen die Anfänge dieses Projekts? In Los Angeles. Dort habe ich in den neuziger Jahren gelebt, um die Serie der "Los Angeles Portraits", also der sogenannten Pool-Portraits, zu realisieren. Nebenbei begann ich mich für die Oberflächen der Stadt zu interessieren, was in Los Angeles relativ naheliegt. "City of Quartz" von Mike Davis war erschienen und Baudrillard hatte die Urbanität und die Zeichencodes von Los Angeles untersucht. Es ging z.B. darum, dass die endlosen und in regelmässige Blocks aufgeteilten Boulevards der Stadt aus einer unendlichen Wiederholung immergleicher architektonischer Ver- satzstücke bestehen. Das hat mich damals fasziniert. Wir haben dann auf meinen Toyota Pick Up ein Stativ montiert und sind immer wieder kreuz und quer durch die Stadt gefahren. Aber erst 1997, als ich zu einem Arbeitsaufenthalt nach China ein- geladen worden war und dort, auf der Shanghaier Insel Pudong zunächst, die grossen Wandflächen der ersten chinesischen Wol- kenkratzer fotografierte, kam es zu einer bildlichen Lösung. Die Fassaden dieser Gebäude verhielten sich dabei wie fotografische "Ready Mades", bei denen ich sozusagen nur noch den Ausschnitt festlegen musste. Nennen wollte ich das Ganze "China‘s New Skin". Da aber bald klar wurde, dass diese Form der Stadtverände - rung Teil des Globalisierungsprozesses war, der einige Jahre zuvor begonnen hatte, beschloss ich, das Projekt dann auch global um- zusetzen. Dies führte mich in den nächsten fünfzehn Jahre in alle relevanten Metropolen dieser Welt, bis es vor wenigen Jahren zum Abschluss kam. Sollte der Globlisierungsprozess durch die aktuel- len politischen Entwicklungen wieder zurückgefahren werden, was sich glaube ich niemand wünschen sollte, dann würden die "Faça- des" vielleicht zu einem visuellen Portrait einer bestimmten Zeit. Das war sozusagen die politische Seite des Projekts. Was vom Fotografischen her auffällt, ist die konzeptuelle Strenge, mit der Sie vorgehen. Gibt Ihnen diese Klarheit die Freiheit, sich auf die Umsetzung zu konzentrieren? Ich war eigentlich immer jemand, der erst ein Konzept entwickelt hat und dann geschaut hat, wie lässt sich das umsetzen. Bei den Pool-Portraits hatte ich z.B. die Vorstellung, die menschliche Büste in diesem starken Kontrastverhältnis zwischen dem körperlichen Teil und dem monochromen Umfeld des Blaus des Wassers dar- zustellen. Dies hatte relativ komplexe technische Anforderungen zur Folge, da für die Lichtführung und zur Vermeidung von Spie- gelungen auf der Wasseroberfläche riesige Aufbauten notwendig wurden, die ich mir zum Teil aus den Filmstudios kommen ließ. In Deutschland konnte ich dieses Projekt nicht umsetzen, da bei Versuchen in heimischen Outdoor Pools, etwa bei Freunden am Starnberger See, uns ständig das Wetter einen Strich durch die Rechnung machte. Dann bin ich eines Tages wie erwähnt nach Los Angeles geflogen, da waren die Bedingungen perfekt. Besonders der beständig blaue Himmel und die problemlose Verfügbarkeit Interview: Paul Wagner, Fotos: Daniel Breidt 057von privaten Pools. Dies, also Anfang der Neunziger-Jahre, war noch die Zeit der Analogfotografie, was bedeutete, dass im Prinzip der meiste Aufwand vor dem Drücken des Auslösers stattfand, spätere Retuschemöglichkeiten waren sehr beschränkt. Heute, im Photoshopzeitalter, nimmt dagegen die Postproduction den meisten Raum ein. Die Pool-Portraits erlebten dann eine Fortsetzung. Wie kam es dazu? Das war 2007. In jenem Jahr hatte ich mir ein Atelier in Peking genommen, zu einer Zeit, als in China so richtig die Post abging. Die Menschen hatten einen riesigen Nachholbedarf zu feiern, Geld zu verdienen, zu konsumieren. Das brachte mich auf die Idee, das Projekt der Poolportraits dort noch einmal zu wiederholen und in jener Phase der starken sozialen Veränderungen den Fokus noch einmal auf das Individuum zu richten. Hieraus sind die "Chinese Pool Portraits" entstanden. Diese habe ich jedoch aufgrund der Umstände nicht im Freien, sondern in Filmstudios in Peking und Shanghai aufgenommen, wo jeweils ein Pool errichtet wurde und mit zahlreichen Reflektoren und Filmstrahlern das weiche kali- fornische Tageslicht nachgebildet wurde. Und hier habe ich dann erstmals eine digitale Hasselblad eingesetzt, was u.a. eine unmit- telbare Kontrolle des Fotografierten am Bildschirm ermöglichte. Aber egal wie man fotografiert, am Ende steht auch hier ein Abzug auf klassischem Fotopapier. Das klingt alles nicht nach Dokumentarfotografie… Ja, das stimmt. Es ging mir eigentlich immer mehr um das Bild als um das Abbild. Ich betrachte Bilder infolgedessen auch als Teil des "visuellen" Denkens, welches ja gerade "nicht" sprachlich ist, also erzählerisch, abbildend. Das ist keineswegs apodiktisch ge- meint, sondern beschreibt nur "meine" bevorzugte Einsatzart des Mediums Fotografie. Denn natürlich hat Fotografie eine enorme Bandbreite, die vor allem mit der ihr innenwohnenden Fähigkeit zur Dokumentation und damit der Informationsübertragung zu- sammenhängt. Von der Reisefotografie über die wissenschaftliche Fotografie, Mode, Werbung, Nachrichten etc.. Im 20.Jh. bedienten sich dann mehr und mehr Künstler der unvergleichlichen Ver- wendungsoptionen von Fotografie in Collage, Installation, Kon- zeptkunst. Aber man darf nicht vergessen, dass erst seit ungefähr 30-40 Jahren die Fotografie ein vollwertiges Mitglied der zeitge- nössischen Kunst ist… Da begann sich die Bedeutung von Fotografie zu verändern? Dadurch begann der Prozess, den man einen Paradigmenwechsel nennen kann, nämlich dass man mehr und mehr auch das Bild- hafte einer Fotografie wahrzunehmen gelernt hat. Losgelöst von dem, was man auf einem Foto erkennen kann. Übrigens spielte hier das große Format eine nicht unwesentliche Rolle: vorher kannte man Fotos eigentlich nur im sogenannten Album- oder Buchformat, was die Angewohnheit, immer nur im Bild "lesen" zu wollen, verstärkte. Bei den Malern war das Thema Großformat ja schon längst durch. Diese formale Befreiung hat dann vieles für die Fotografie in Gang gebracht? Die Leute haben sich zuerst einmal vom Format, von der befreiend großen Bildfläche beeindrucken lassen. Die Frage "Was ist das auf dem Bild und woher kommt das?" wurde zweitrangig. Die Ambi- guität des Mediums wird dadurch zwar nicht aufgehoben. Sie hat eben diese beiden Möglichkeiten, entweder abbildend, oder pik- torial, als Anschauungsobjekt zu existieren. Als ich die ersten Ar- beiten zu den Fassaden realisiert habe, ist mir klar geworden, dass das ein ideales Projekt war, um diese Polarität einer Fotografie auf die Spitze zu treiben. Denn was Sie bei den "Façades" sehen, ist auf der einen Seite eine reale Abbildung eines Gebäudes, das irgendwo in irgendeiner Stadt steht, und auf der anderen Seite ein autarkes Bild, bei dem ich diese Referenz nach außen gar nicht mehr brauche. Bei dem sich das Zeichen vom Bezeichneten gelöst hat. Und bei den Fassadenbildern hat mir das immer gefallen, diese visuelle Dissonanz, bei der man sagt: Ist es jetzt ein Bild, das mich an Colour Field Paintings erinnert oder ist es das Foto von einem Gebäude? Bei vielen Betrachtern erwecken die "Façades" starke kunstge- schichtliche Assoziationen … Ja, die Leute sagen immer wieder mal: Das erinnert mich an Vasa- rely, Cruz-Diez oder Agam, an geometrische Kunst, an Zero und so weiter. Da habe ich gedacht: Das stimmt ja eigentlich, denn die Ar- chitekten, die diese Gebäude letztlich designt haben, haben auch Kunstgeschichte studiert. Das heißt, die Bilder der Moderne sind im kollektiven Bewusstsein und diffundieren so wieder in die Ge- bäudefassaden. Diese fotografiere ich und mache ein Bild daraus. Und dieses gelangt unter Umständen wieder in ein Museum. Eine Art Kreislauf der Kunst. Ja, ein Kreislauf. Als der Erweiterungsbau des Lenbachhauses fertiggestellt wurde, habe ich die goldene Fassade von Norman Foster fotografiert. Dieses Bild befindet sich heute im Besitz des Lenbachhauses und so wanderte die Außenhülle ins Innere. Da ist dieser Kreislauf perfekt gelungen. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Design und Kunst? Design und Kunst können sich im Zeitalter der extremen Diversi- fikation von Kunst durchaus ähneln. Da kommt es wieder mal auf den Kontext an. Sie wissen ja, wenn Sie eine Damenhandtasche im Museumsraum auf den Boden stellen, wird sie automatisch zu einem Kunstwerk… Aber Spass beiseite, Kunst ist immer mit einer Absicht verbunden, es ist nichts Kunst, hinter dem nicht die Ab- sicht eines Bewusstseins eines Künstlers steckt. Deswegen bringt die Natur auch keine Kunst hervor, Natur ist Natur. Es gibt die be- kannte Anekdote, als der Philosoph Arthur C. Danto sinnierend die Brillo Boxes von Andi Warhol umkreiste und sich fragte, wie etwas Kunst sein kann, wenn man es von einem genau gleich aussehen- den anderen Gegenstand, z.B. einem Gebrauchsgegenstand, nicht mehr unterscheiden kann. Optisch war ja kein Unterschied auszu- machen zu den originalen "Brillo Boxes" aus dem Supermarkt, also designten Verpackungskisten. Ein Freund von mir, selbst Designer, formulierte das Verhältnis von Kunst und Design folgendermas- sen: Ein Designer nutze seine Fähigkeiten, um die "Message" eines anderen, seines Auftraggebers, zum Ausdruck zu bringen, ein Künstler nutze seine Fähigkeiten, um seine eigene "Message" zum Ausdruck zu bringen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Fischer. 058Interview | Roland Fischer Roland Fischer rolandfischer.com In Deutschland vertreten durch: walter storms galerie schellingstraße 48 80799 münchen mail@storms-galerie.de storms-galerie.de „Chinese Pool Portraits“: Zhu Zhu #4145, 2007, 141 x 162 cm 059Next >