< Previous Mustersiedlung Ramersdorf Eines der ersten Häuser, die „Sepp Ruf” in den 30er Jahren entworfen hatte, war ein Typenhaus für die Mustersiedlung Ramersdorf. Mit der Erlaubnis der Stadt Münche n das Haus um 5m zu verlängern, entstand die Möglichkeit, das Gebäude den heutigen Bedürfnissen anzu- passen und mit einer modernen Antwort auf die historische Bausubstanz zu reagieren. Dem Kleinmaßstäblichen der Straßenansicht folgt der weite Blick im Inneren über den Wohn- und Essbereich zum Garten. Es gibt weder Flure noch Erschließungszone. Die Räume fließen unhierarchisch ineinander. Der Kern des Hauses ist das Treppenhaus aus Ulmenholz. Der Rest des Hauses ist zurückhaltend weiß und mit einem grauen Gußestrich gestaltet worden. Architektur-Kultur | Jürke Architekten 081Man merkt sofort: Oliver Holy brennt für gutes Design, ehrliches Handwerk und Qualität. Der gebürtige Schwabe, dessen Familie mit Marken wie Hugo Boss, Strellson und Holy’s Modege- schichte schrieb, übernahm ClassiCon Ende der Neunziger. Mit viel Leiden- schaft und Geschick hat er das Unternehmen zu einer renommierten Interior Design-Marke gemacht, mit Präsenzen in über 75 Ländern. ClassiCon ist berühmt für seine Klassiker von Eileen Grey, Blümel und Muthesius. Die Marke steht aber genauso für erstklassiges zeitgenös- sisches Design, immer auf der Suche nach den Klassikern von morgen. Eine besondere Rolle spielt bei ClassiCon der bedeutende Münchner Designer Konstantin Grcic. Aus Anlass der fünfundzwanzigjährigen Zusammenarbeit von Grcic und ClassiCon erschien dieses Jahr die Black Edition, begleitet von einer Box mit Fotografien der Künstlerin Shirana Shabazi. ZEIT FÜR MEHR ZEIT LOSIG KEIT. Interview: Paul Wagner Fotos: Daniel Breidt Herr Holy, Sie haben Jura studiert, warum eigentlich nicht Design? Ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Als vierzehnjähri- ger habe ich bei einem Essen Marc Newson kennengelernt, und er hatte so ziemlich das hübscheste Mädchen dabei, das ich bis dato gesehen hatte. Da war klar, dass ich auch Designer werden wollte (lacht.) Nein, im Ernst: Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich in einer Position, wie ich sie jetzt habe, mehr Einfluss auf das De- sign und die Welt des Designs nehmen kann wie als Designer. Und es ist ja tatsächlich so. Bei ClassiCon kann ich dafür sorgen, dass wir im Design innovativ sind, manches früher als andere haben und sehr oft durchaus wegweisend sind. Wir können echte Talente entdecken, Designer, die unbekannt waren und jetzt weltbekannt sind, das ist toll. Ich kann unsere Designer herausfordern und mich dran freuen zu sehen, was für spannende Sachen entstehen, wenn wir von jemandem, der bekannt für seine Polsterentwürfe ist, einen Entwurf für einen Kleiderständer fordern. Ich treffe gerne Menschen aus der Modewelt, aus der Kunst und hör mir an, was dort passiert. Das lasse ich in die Entwicklung unserer Produkte einfließen.Interview | Oliver HolyClassiCon hat Designikonen wie Eileen Gray, Otto Blümel oder Eckart Muthesius im Programm. Deren Möbel sind Klassiker. Dabei bleiben Sie aber nicht stehen. Ihr Anspruch ist es, heute schon die Klassiker von morgen zu entdecken. Haben Sie hell- seherische Fähigkeiten? Wir beobachten Designer über Jahre hinweg und behalten die im Auge, die eine schöne Entwicklung durchlaufen und bei denen man spürt: Die haben was, die sind was Besonderes. Es kristalli- sieren sich dann ein paar wenige heraus, bei denen ich sage: Mit dem oder mit der würde es mir einfach Spaß machen, etwas zu machen. Da gibt es dann natürlich auch immer wieder einmal Namen, bei denen man sich im Nachhinein ärgert, dass man ihnen nicht gleich gesagt hat: Komm, wir machen ein Projekt zusam- men. Das muss man dann aushalten. Ich versuche einfach, mit of- fenen Augen durch die Welt zu gehen und interessante Menschen kennenzulernen. Ein Beispiel: Victoria Wilmotte. Sie kam aus der Kunstszene und hatte mit Möbeln rein gar nichts zu tun. Und dann entwirft sie für uns einen fantastischen Tisch. Das ist toll. Wie halten Sie den Kopf offen? Sehen Sie, mein Leben baut sich auf der Leidenschaft für vier Be- reiche auf: Mode, Design, Kunst und Architektur. Die Leidenschaft für Mode ist natürlich familiär bedingt. Die fürs Design auch, denn ich bin aufgewachsen mit Möbeln von Eileen Gray, B&B, Verei- nigte Werkstätten und vielen mehr. Außerdem war ich, so lange ich denken kann, umgeben von moderner Kunst. Mit unseren Eltern waren wir ständig in Ateliers von Künstlern wie Twombly, Chamberlain und Rauschenberg. Das prägt. Bei der Architektur hat sich bei uns dann selbstverständlich auch ein hoher Anspruch entwickelt. Das dritte Gebäude in München, das von Herzog & De Meuron gebaut wurde, haben wir projektiert. Ein Gebäude, mit dem die Grenzen der Architektur ausgelotet wurden. Wir hatten endlose Diskussionen mit der Stadt, weil die Architektur ange- zweifelt wurde. Jetzt finden es alle toll. Aber das nur als Randbe- merkung. Bei ClassiCon berühren sich diese Welten aufs Engste. Etwa bei unserer Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Sau- erbruchHutton oder mit Neri&Hu in Shanghai. Nochmal zurück zum Begriff Klassiker. Welche Rolle spielt der Begriff der Zeitlosigkeit bei Ihnen? Was der Zeitlosigkeit vorausgeht und sie überhaupt erst möglich macht, ist Qualität. Wenn etwas überhaupt jemals die Chance haben soll, zum Klassiker zu werden, muss es richtig gut gemacht sein, hochwertig und auf Langlebigkeit ausgerichtet. Wenn man zeitlos sein will, muss man die Zeit auch überdauern können. Dann eint unsere Designklassiker aber auch, dass sie in ihrer Zeit avantgardistisch waren. Eileen Gray, in ihrer Zeit, hatte absolut avantgardistische Ideen, die sich dann vom intellektuellen Ansatz her und in ihrer Absolutheit über die Zeit bewährt haben. Paralle- len gibt es bei den von uns heute ausgewählten Designpositionen. Ein Konstantin Grcic ist natürlich ein Avantgardist im Denken. Oder auch ein Sebastian Herkner. Solche Designer überraschen uns immer wieder mit bahnbrechend neuen Ideen, von denen wir glauben, dass sie über die Zeit hinweg Bestand haben werden. Das ist die Kunst: Die zu finden, die nicht nur für den Moment gestal- ten. Die Klassiker von morgen. Verraten Sie uns, wie Sie dabei vorgehen? Das ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Manche Entwürfe sind einfach schön, ohne Wenn und Aber. In die verliebt man sich auf den ersten Blick, weil sie Neugier, Materialliebe und Überraschung auf einen Schlag bedienen. Bei anderen dauert es bei mir etwas länger, bis ich ihr volles Potenzial erkenne. Beim dritten „wow!”, das ein Entwurf auf dem Weg zur Nullserie bei mir auslöst, weiß ich, dass wir richtig liegen. Materialität spielt dabei sicher eine tragende Rolle. Wie etwa das besondere Metall beim Pli Side Table von Victo- ria Wilmotte, das eigentlich aus der Fassadengestaltung stammt. Das Handwerkliche spielt bei ClassiCon eine wesentliche Rolle. Wo stellen Sie her? Dahoam (lacht). Weitestgehend in Bayern, je näher, je besser. Was spricht dafür? Die Zuverlässigkeit, die handwerkliche Qualität, die kurzen Wege, der engere Austausch. In kleinen Handwerksbetrieben? Ja, ganz klassischer Mittelstand. In der Regel Betriebe mit zwi- schen 10 und 60 Mitarbeitern, viele davon familiengeführt. Wir fördern das aus Überzeugung. Wir haben so ein tolles Handwerk bei uns. In Aschau am Chiemsee gibt es eine Messerschmiede, die enorm teuer ist, so dass sie preislich eigentlich komplett rausfällt. Aber die machen bei Messern so ziemlich das Schönste, was man sich denken kann. Solche handwerklich gearbeiteten Dinge sind etwas Großartiges. Und es gibt die Menschen, die Qualität schät- zen, die das Unikat wollen, einen Messergriff nach Wunsch, aus Mammut oder aus einem besonderen Stück Holz. Bestimmt ein gutes Gefühl, in so einer Werkstatt zu stehen. Wenn alles so anfassbar und haptisch wird. Ja! Nehmen wir unsere Leuchte Selene von Sandra Lindner; die Glaskugeln sind mundgeblasen, bis auf 45 Zentimeter Durchmes- ser. Das ist höchste Handwerkskunst. So ein Volumen zu blasen ist enorm schwer, und ein Glasbläser muss ein echter Könner sein, um das hinzubekommen. Wir arbeiten hier mit einem Betrieb zusam- men, der seit dem 16. Jahrhundert besteht und in 15. Generation von ein und derselben Familie geführt wird. Diese Erfahrungs- werte sind nicht zu übertreffen. Bei uns fängt das Handwerkliche ja schon in der Entwicklung an. Der totale Gegenentwurf zu unserer Vorgehensweise ist hier die Beschränkung auf rein digi- tale Mittel. Bei uns geht gar nichts ohne handwerklich gefertigte Prototypen. Ein Sebastian Herkner arbeitet immer mit Prototy- pen. Wenn sich Designer bei mir vorstellen und nur auf ihrem iPad herumwischen, dann finde ich das schade. Materialität, Haptik, Di- mensionierung, das sind doch wesentliche Elemente beim Design. Jedes Pappmodell ist besser als ein Rendering. Wie experimentell sind Sie? Ist Ihre Risikobereitschaft so ausge- prägt, dass Sie auch Umsetzungen machen, die eigentlich nicht sinnvoll sind? Wenn ich etwas gut finde, gönne ich mir manchmal den Luxus, etwas gegen jede wirtschaftliche Vernunft zu machen. Beispiels- weise eine Umsetzung in einem bestimmten, eigentlich unbezahl- baren Material. Völlig verrückt. Glücklicherweise haben wir eine kleine Gruppe von Käufern, die da mitzieht. Diese Preise am Markt realisieren zu wollen ist völlig utopisch. So ein Produkt könnte auch gar nicht mehr in den Vertrieb eingeordnet werden. Es ist eher wie ein Kunstobjekt zu verstehen. Wir bauen es, weil wir die Idee gut finden. Die Freude daran ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie ein Plagiat Ihrer Designklassiker sehen? Es schockt mich. Ein Adjustable Table von Eileen Gray als Plagiat wiegt schnell ein Viertel weniger als das Original. Das ist schon ein sehr deutlicher Hinweis auf die unglaublich schlechte Stahlquali- tät. Wer ein Plagiat kauft, hat sofort hundert Prozent Wertverlust realisiert. Einen Original Adjustable Table verkaufe ich in 25 Jahren immer noch für die Hälfte des aktuellen Marktwerts. Die Fakten Interview | Oliver Holy 084liegen ja auf dem Tisch: Plagiate verursachen großen wirtschaft- lichen Schaden, sie vernichten Arbeitsplätze. Aber ein weiterer Punkt ist fast noch schlimmer: Sie rauben einem die Freude an den Dingen. Wenn ich eine Traumuhr habe, dann spare ich halt so lange bis ich sie mir leisten kann. Dann ist irgendwann die Freude groß, wenn ich Sie am Handgelenk tragen kann. Mir würde es jedes Mal einen kurzen Stich ins Herz geben, müsste ich stattdes- sen auf ein Plagiat schauen oder würde ich meinen Hausschlüssel auf eine Kopie des Adjustable Table ablegen müssen. Ein Original ist einfach so viel mehr wert! Man geht damit einfach anders um. Wie durchbrechen Sie bei ClassiCon diese Billigpreis-Mentalität, die ja auch dazu führt, dass sich viele Plagiate kaufen? Bei Mitbewerbern sehe ich schon sehr klar, dass Sie dem Preisdruck bei der Materialauswahl nachgeben. Ich habe hier bei ClassiCon deshalb genau die gegenteilige Devise ausgegeben. Ein Beispiel: das Leder. Wir haben hier bei der Qualität die Schraube deutlich nach oben gedreht. Unsere Leder kommen von einem echten Freak aus dem Allgäu. Sie werden nachhaltig produziert, natur- verträglich gegerbt und gefärbt. Als Farbstoff für Grün werden beispielsweise Olivenblätter verwendet, Rote Beete ist die Basis für Rot. Dieses Leder ist das Beste vom Besten. Es fordert den Kunden natürlich auch heraus, denn es ist sehr offenporig, es bekommt schnell Patina, dafür hat es diesen einzigartigen Griff und schenkt dieses einmalige Gefühl. Das heißt, derjenige, der Möbel mit die- sem Leder erwirbt, muss unsere Leidenschaft dafür teilen. Das Firmengebäude von ClassiCon ist ein besonderer Bau. Was war Ihnen wichtig, als Sie planen und bauen ließen? Eine sehr klare, moderne Sichtbeton-Ästhetik und viel natürliches Licht, das über Lichtschächte durch die Stockwerke geleitet wird. Keine Klimaanlage! Ich kann Ihnen versichern, das geht tatsäch- lich. Auf dem Flachdach steht unter den Holzplanken immer eine Schicht Regenwasser, die Betondecke ist 70 Zentimeter dick. Bis die sich erwärmt, dauert es sehr lange. Im Gebäude sollten das Lager, die Büroflächen, die Produktentwicklung und Showroom- flächen gut miteinander verbunden werden. Geplant haben es Jürke Architekten. Ein tolles Gebäude, das sehr gut funktioniert. Konstantin Grcic und ClassiCon arbeiten jetzt seit 25 Jahren zusammen. Sie haben zu diesem Jubiläum die Black Edition ge- staltet. Was prägt ihre Zusammenarbeit? Konstantin Grcic hat bereits ganz klare Vorstellungen, wenn er zu mir kommt. Man kann mit ihm aber in einen richtig guten Aus- tausch gehen. Er sagt allerdings bei manchen Vorschlägen ganz klar: Das und das will ich so nicht. Er definiert alles bereits sehr genau und er ist für mich gerade deshalb ein so großer Designer, weil er keine Kompromisse eingeht. Er würde nie sagen: Ach, such dir doch einfach irgendein Material aus. Er weiß schon sehr genau, wie er es haben möchte. Bisher haben wir immer gemeinsam Lö- sungen gefunden, ohne dass einer von uns Kompromisse machen musste. Bei der Black Edition ist Konstantin auf meinen Wunsch eingegangen, ein Daybed zu gestalten. Wir haben ja das Daybed von Eileen Gray im Programm und wollten dazu eine zeitgenössi- sche Antwort. Sie ist sehr gelungen. Was ist die Quintessenz dieser 25 Jahre? Ich kenne Konstantin seit Ewigkeiten, seit Mitte der 90er. Das ist die Hälfte meines Lebens. Ich arbeite unheimlich gerne mit ihm. Wir haben sehr viele Produkte gemeinsam realisiert, da ist etwas sehr Besonderes gewachsen. Es gab Ausstellungen, etwa im Haus der Kunst, bei denen das Foyer mit ClassiCon Produkten von Konstantin möbliert waren. Mit solchen Erlebnissen sind ein- fach schöne Erinnerungen verbunden. Es gibt da also eine enge menschliche Verbindung, die die absolute Hochachtung vor dem Designer Grcic überschreitet. Konstantin ist ein Designer, der in seinem Denken so beispielhaft ist, dass man beim Zuhören und durch seine Argumentationen, etwa für eine bestimmte Form oder eine Farbe, jedes mal unglaublich viel lernt und mitnehmen kann. Es ist immer wieder schön, wenn man sich trifft. Herr Holy, vielen Dank für das Gespräch. 085LivaLike real made products www.livalike.com Horemannstraße 30 80636 München T: +49 (151) 12844035 info@livalike.com Termine nach Vereinbarung LivaLike steht für exklusive und innovative Klein- und Kleinstserien von Objekten und Accessoires. Die aktuelle Stitched Collection spielt intensiv mit der Vergänglichkeit des Materials. Die klar Linienführung der Papiere verliert sich nach und nach, die Zeichen des Gebrauchs drängen sich behutsam in den Vordergrund; ganz selbstverständlich und individuell. 086 Taschen-Kultur | LivaLike 087Fashion-Kultur | Haltbar Foto: Markus Jans 088Haltbar Label www.haltbar.de Store Pestalozzistraße 28 80469 München T: +49 (89) 76 758 380 info@haltbar.de 089Next >