< Previous098 der Prosaband „Das Lexikon der feinen Sitte“ im Diskus Verlag, ein Buch, in dem zum ersten Mal Pro- sa gemeinsam mit Collagen erschien. Diese Verbindung von Text und Bild setzte er 1968 fort mit sei- nem Werk „mein famili. moritaten und bildcollagen“, erschienen im Anabas Verlag, neu aufgelegt und zusammengestellt im Suhrkamp Verlag 1971. Im selben Jahr und im selben Verlag veröffentlichte Ror Wolf sein erstes Fußballbuch „Punkt ist Punkt“, in dem der große Frankfurter Jürgen Grabowski eine Rolle spielt. In diesem Buch fallen zwei Dinge auf: die Schere und das Spiel mit Worten als Textbauma- terial. Die Schere taucht als grafisches Element auf, das in Verbindung mit aus- und angeschnittenen Fußbällen, Fußballerbeinen und -händen sowie Zitaten von Fußballreportagen als Instrument seiner künstlerischen Arbeit in Szene gesetzt ist. Mit dem fußballerischen Wortmaterial von „Ausputzer“ bis „Kasten“ schafft er kurze Prosatexte, die befremdlich künstlerisch gestaltet sind und eine spielerische Balance halten zwischen Originalreportage und Literatur. Wir zählen insgesamt acht Werke, in denen Ror Wolf Text und Bild, narrative Texte und Bildcollagen kombiniert, darunter auch Werke unter dem Pseudonym Raoul Tranchirer, beispielweise sein großartiger „Vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt“. Parodiert Ror Wolf hier das Genre der Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Ratge- ber wie „Das Lexikon der feinen Sitten“ von Kurt Adelfels oder greift er schon Vorlagen der Parodie und des Absurden auf wie Julio Cortázars „Manual de instrucciones“ aus dem Jahr 1962 (erster Teil seiner „Historias de cronopios y de famas“). Ror Wolfs Lesegemeinde wartet auf jeden Fall seit über einem Jahr auf sein letztes, mit Bildern und Collagen ausgestattetes Buch, das im Herbst 2014 unter dem Titel „Raoul Tranchirers Notizen aus dem zerschnetzelten Leben“ erscheint. In diesem Neben- einander von neuen Texten und Collagen wird der Leser sich auf ein freies Spiel zwischen Bild- und Wortwelten einlassen können. Schon Lord Byron hat Papier auseinandergeschnitten und geklebt, der dänische Märchener- zähler Hans-Christian Andersen machte es ebenso, und um das Jahr 1912 begannen Georges Braque und Pablo Picasso sich dieser Technik zuzuwenden. Aber auch der deutsche Kurt Schwitters hat geschnitten und geklebt, schließlich sei auch der dieser Technik zugewandte, in Frankfurt lebende Vertreter jener Avantgarde, Franz Mon, genannt. Doch bestehen die engeren Beziehungen wohl zwischen Ror Wolf und Max Ernst, da Letzterer auch Collageromane veröffentlichte: der bekannteste erschien 1929 unter dem Titel „La femme 100 têtes“ mit einem Vorwort von André Breton. Das Wort Collage kommt vom französischen papier collé, doch im Unterschied zu Braque oder Picasso, die auch Zeitungsartikel, Fahrkarten oder Theaterzettel verklebten, sind es bei Ror Wolf ausschließlich Bilder. Dabei entsteht keine fragmentierte Wirklichkeit, auch finden wir keine „Trümmer der Empirie“ (Ador- no), da wir keinen Verweis auf überlieferte Zeiten und Orte finden. Es ist immer ein schon künstlerisch geformtes Bildmaterial, das neu zusammengesetzt eine Wirklichkeit suggeriert: Da ist ein Berg, da ein Wasser, da ein Haus, da ein Mensch oder ein Arm. Doch nie ein besonderer, ein benannter Berg, ein zu identifizierender Strand oder ein historischer Mensch. Diese neu geschaffene Wirklichkeit versucht auch nie, die uns geläufige vorzutäuschen, es ist absichtsvoll eine andere überwirkliche oder jenseits- wirkliche oder traumwirkliche Realität. Ror Wolf fand sein Collagenmaterial vor allem in Illustrierten der Gründerzeit, aus einer Zeit, bevor die Fotografie alle anderen Formen der Abbildung dominierte. Um 1960 begann er, Flohmärkte in England, Wales, Frankreich und Belgien abzusuchen, um sein im Tiefdruckverfahren hergestelltes Ausgangsmaterial zu finden. Aus unzähligen Heften, medizinischen Atlanten und Krankenbüchern schnitt er Landschaftsmomente wie Berge, Meere, Strände aus, dann allerlei Sorten behaarter, 099 Lese-, Schreib- und Dicht-Kultur | Romanfabrik100 Lese-, Schreib- und Dicht-Kultur | Romanfabrik befiederter und beschuppter Tiere, aber auch die verschiedensten technischen Produkte und Architek- turen und dazu menschliche Figuren, nackt und angezogen, in Gänze oder in Teilen, mit geschlossener Hautdecke oder geöffnet. Für Ror Wolf bedeutet das Collagieren gegenüber dem Schreiben ein Moment der Entspannung, und genau so darf man sich den Künstler auch vorstellen, wenn er hochkonzen- triert, in völliger Ruhe, die Schere ansetzt, um hochgenau ein Objekt auszuschneiden, herauszulösen aus seiner vertrauten Umgebung: ganz entspannt in seiner hohen Konzentration. Nun hat er wieder ein Element gefunden, sich eigen gemacht für den nächsten Arbeitsschritt, für den er alles vorbreitet hat: Die Pappe liegt bereit, die Ausschnitte sind vorsortiert, der richtige Kleber ist gefunden (einige frühe Arbeiten haben sich durch den falschen Kleber wie ‚rubber cement‘ selbst zerstört). Die nun folgende sorgfältige Verteilung des Leims geschieht im Zustand tiefer Gelassenheit, die Fertigstellung einer Bildcollage ist dann ein Werk von zwei bis drei Tagen. Das Gestaltungsprinzip ist der Zufall, bis im Entstehen, gegen Ende, das Zufällige schwindet und im Prozess der Vollendung eine Zwangsläufigkeit sich einstellt. Doch immer wohnt im Entstehen ein Moment der Überraschung inne. Max Ernst fasste es in seinen autobiografischen Notizen „Wahrheitsgewebe und Lügengewebe“ (1962) so zusammen: „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusam- mentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigne- ten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“ Der Betrachter von Ror Wolfs Bildern ist überrascht, ja verblüfft: Beim Original, ganz zu schweigen bei seiner Reproduktion, sieht man keinen Schnitt, keine Klebespur, es sei denn, man nähert sich bis auf wenige Zentimeter mit scharfem Blick oder mit der Lupe dem Original. Dieser Effekt beruht auf der Arbeitsweise der Montage, wo Ausschnitt sich an Ausschnitt fügt ohne jede Fuge. Sind also die Papierstärken gleich, hilft nicht einmal die Ausschau nach unterschiedlichen Höhen. Dass man seinen eigenen Augen nicht traut, ist beabsichtigt, die durch äußerste Präzision geschaffene Echtheitswirkung ist nur das Mittel dazu. Wie Ror Wolf also den vorhandenen Bildern etwas entnimmt und den Rest wegwirft, wie er sich etwas aneignet durch Zerstörung, entstehen neue bildliche Wirklichkeiten. Sein Formprinzip und seine Wirkung folgen den Gesetzen einer Wirklich- keitsfabrik. Dem Alltagsblick werden tiefere Beziehungen entgegengesetzt, indem zwischen Grund und Oberfläche, beispielsweise zwischen Haut und Muskelsträngen oder Organen, eine sichtbare Beziehung hergestellt wird. Dem Prinzip der Osmose ähnlich entsteht ein Austausch zwischen Traum und Alltag, das Unmögliche steht neben dem Gewöhnlichen, der körperliche Blick in den Menschen stellt sich wie selbstverständlich neben den Anblick von bekleideten oder unbekleideten Körpern. So wird der Schauder mit der Sehnsucht vermählt, die Statik der Architektur mit der schiefen Ebene konfrontiert, der Meeresspiegel erhebt sich über den Erdboden, das Begehren findet sein Echo im Tod. Es sind unendliche Varianten der Einheit des Hässlichen mit dem Erhabenen. Es ist Ror Wolfs Ästhetik der Groteske, in der die erstarrte Pose der Selbstsicherheit eingebettet ist in einer furchtsamen Land- schaft. Und all dies ist nichts anderes als ein Spiegel des Lebens und des Lebens des Künstlers. Wenn Ror Wolf verantwortlich ist für die Namensgebung der Gruppe „Styx-Union“ aus seiner Jugendzeit, dann wissen wir um die lange Tradition seiner künstlerischen Handschrift. Denn in Dantes Inferno ist der im fünften Kreis der Hölle beschriebene Fluss Styx der Aufenthaltsort der Sünder aus Missbrauch des sinnlichen und leiblichen Genusses und wird somit zum Fluss des Grauens. Neben das Grauen tritt nun beim reifen Autor und Künstler aber der Genuss.101 Wir finden das gleiche Formprinzip der Groteske auch in Ror Wolfs Texten. Als Beispiel hierfür und für die scharfen und kaum sichtbaren Schnitte mag eines seiner Fußballsonette dienen: Rammer & Brecher, 3. Sonett Der Meister wirbelt hungrig übers Feld Und füttert seine Spitzen sehr geschickt. Er tanzt durch alle Sperren, quirlt und zwickt. Vom Flutlicht ist der Rasen jetzt erhellt. Der Rammer zugedeckt und kaltgestellt. Der Brecher auf der Linie, ganz geknickt. Das Leder hängt im Netz, hineingenickt. Im halben Lande stöhnt die Fußballwelt. Der Trainer auf der Bank, man sieht ihn fluchen. Sein Kopf sitzt locker und eventuell Beißt man im Herbst schon in den Abstiegskuchen. Der Rammer steht herum und ganz speziell Den Brecher muss man mit der Lupe suchen. Da muss sich vieles ändern und zwar schnell. Das Sonett mit seiner komplexen dichterischen Form diente ursprünglich dem Hohen Lied der Liebe. Hier aber wird die hohe Form gefüllt mit sportlichem und kriegerischem Vokabular. Das gleiche ästhe- tische Prinzip des Nebeneinanders oder der Kreuzung von Erhabenem und Niederem kommt hier zur Anwendung. Bei all dem dient aber die Groteske nur dem Ziel, ein Geheimnis darzustellen. Michael Hohmann (16. September 2014) Romanfabrik Michael Hohmann, RoC-Für-Sprecher www.romanfabrik.de Hanauer Landstraße 186 60314 Frankfurt am Main T: +49 (69) 494 09 02 Kultur erlebbar machen 102103 Einrichtungs- und Veranstaltungs-Kultur | Spielmanns Lokschuppen und Kultur leben. Spielmanns Lokschuppen www.spielmanns.com Spielmanns Officehouse Eschborner Straße 2 61476 Kronberg T: +49 (6173) 50 95 – 0 Was wir in Spielmanns Lokschuppen verbinden: Klassik und Moderne Kunst und Kommerz Vortragen und Zuhören Ausstellen und Betrachten Präsentieren und Diskutieren Mit der Restaurierung des Lokschuppens fing alles an. Alte und neue Architekturelemente werden harmonisch verbunden. Im Sinne der Kultur.104 GUT-Kultur aus Nr.2, 5, 8, 13, 18, 22, 30 Bau-Kultur: BDA, Christian Holl www.bda-hessen.de Foto-Kultur: Alexander Beck, Fotograf www.alexander-beck.de Markus Bassler, Fotograf www.markusbassler.com Birgit Bielefeld, Fotografin www.birgit-bielefeld.de Frank Blümler, Fotograf www.frankbluemler.de Patrizia Doubek, Fotografin www.patriziadoubek.com Farideh, Fotografin www.farideh.de Dieter Fieres, Fotograf www.fieres.com Horst und Mateo Hamann, Fotografen www.horsthamann.com Eberhard Hoch, Fotograf www.eberhardhoch.de Thorsten Andreas Hoffmann, Fotograf www.t-a-hoffmann.de Tobias Kern, Fotograf www.afm-koeln.de Michael Leibfritz, Fotograf www.zoofotograf.de Alex Meininger, Fotograf www.alexmeininger.com Till Melchior, Fotograf www.tillmelchior.com Martin Pudenz, Fotograf www.martinpudenz.de Josefine Raab, Gute Aussichten www.guteaussichten.org Rahn AG,Leica Gallery www.foto-rahn.com Tim Thiel, Fotograf www.tim-thiel.de Walter Vorjohann, Fotograf www.vorjohann.de Westside-Studios Frankfurt www.westside-studios.com Bürger-Kultur: Bürgerinstitut Freiwilligenagentur „Büro-Aktiv” www.buergerinstitut.de Joblinge, Kadim Tas www.joblinge.de Kultur für ALLE, Götz Wörner www.kulturpass.net sankt peter, Jugend-Kultur-Kirche www.sanktpeter.com Galerie- und Kunst-Kultur: Bengt Fosshag, Illustrator www.bengtfosshag.de Johann Georg Geyger, Maler und Grafiker www.johann-georg-geyger.de Heyne Kunst Fabrik www.heynekunstfabrik.de Thomas Punzmann Fine Arts www.punzmann-gallery.com Klaus Schneider, Malerei, Fotografie, Installation www.klausschneider-atelier.de Jürgen Wegner & Karin Wegner, Künstler www.juergenwegner.com105 Literatur-Kultur: Dirk Hülstrunk, Autor, Audiokünstler, Soundpoet www.soundslikepoetry.de Literaturhaus Frankfurt, Hauke Hückstädt www.literaturhaus-frankfurt.de Franz Mon, Dichter, Künstler, Essayist Romanfabrik, Michael Hohmann, RoC-Gut-Schreiber www.romanfabrik.de Stiftung Buchkunst, Karin Schmidt-Friderichs, Alexandra Sender www.stiftung-buchkunst.de Musik-Kultur: Rheingau Musik Festival www.rheingau-musik-festival.de Scream Factory, George Liszt www.screamfactory.de Museums-Kultur: Historisches Museum www.historisches-museum.frankfurt.de MMK, Museum für Moderne Kunst Frankfurt www.mmk-frankfurt.de Schirn Kunsthalle www.schirn.de Städel Museum www.staedelmuseum.de Weltkulturen Museum www.weltkulturenmuseum.de Stadt-Kultur: Bethmannpark mit Japanischem Garten Bergerstraße, Ecke Friedberger Anlage PalmenGarten www.palmengarten.de Zoo Frankfurt www.zoo-frankfurt.de Welt-Kultur: Moogoo, Eliott Martin www.moogoo.de LUST AUF GUT der „Republic of Culture“ gibt es bei all den GUT-Adressen hier im Magazin oder auch im Internet und bei den GUTEN RoC-Depots: Hotels 25h | Biancalani | Bike Store | BRAUBACHfive | Café Bar Plank | Casa Bianci | A Casa di Tomilaia | Druckwasserwerk | English Theatre | Gerbermühle | Goldman Restaurant, Thomas Haus | König’s | M2 | Margarete | The Pure | Roomers | Table – in der Schirn Kunsthalle, Michael Frank | Valcucine Magazin-Kultur: INSTANT www.e-instant.de106 Foto-Kultur | Helga & Peter Capellmann Foto Paris: Peter Capellmann Eine Hommage an Helga & Peter Capellmann (1) ................................................................................................................... Was haben wir in Paris schöne Kampagnen fotografiert.107 Foto Stillleben: Thomas Feicht Eine Hommage an Helga & Peter Capellmann (2) ................................................................................................................... Es war schön bei euch. September 2014.Next >