< PreviousGeschichte eines jüdischen Autors erzählt. Das Stück handelt vom Polizeichef des Ghettos in Vilnius, dem Juden Jacob Gens, der mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitet. Ich habe mich gefragt, wie ich diese eigentlich zutiefst innerjüdische Geschichte aufgreifen kann. Dieses Thema reizt mich immer, auch wenn manche es vielleicht nicht mehr hören können, aber ich finde, man muss immer wieder anfangen, es neu zu erzählen. Ich weiß im Moment noch nicht, was rauskommt. Man hat Bilder im Kopf, aber wie sich das dann zusam- mensetzt und wie die ersten Proben sich entwickeln, das ist auch für mich spannend (Anm. d. Red.: Premiere: 21.11.2013). Darüber hinaus bearbeiten Sie die SiegfriedSage, einen konträrenStoff? Ja, aber daran habe ich bei der Auswahl gar nicht gedacht. Wir machen mittlerweile im neunten Jahr mit den Riederinger Musikan- ten den „Brandner Kaspar” zusammen und wollten nun was Neues in einer Dorfwirtschaft mit Blasmusik machen und da haben wir eine Geschichte gesucht. Es wird eine Uraufführung werden, so viel kann ich verraten, das Buch schreibt ein bekannter Autor (Anm. d. Red.: Premiere: 06.03.2014). Wie entsteht denn eigentlich so ein Spielplan? Der erste und schwierigste Schritt ist zu überlegen, welche Regis- seure man haben will. Wir wollen ja immer junge Regisseure, aber eben nicht nur, in dieser Spielzeit bin ich aber wieder der Älteste. Der nächste Schritt ist, dann die Regisseure zu fragen, worauf sie Lust haben. Natürlich braucht man im Spielplan auch bekannte Stücke wie die „Räuber”, aber wir machen eben auch „Ghetto”, das kaum jemand kennt. Wenn das Volkstheater nicht subventioniert wäre, dann wür- den wir wahrscheinlich mehr auf Kassenschlager setzen, aber dann würden wir unseren Job verfehlen, denn es ist auch unsere Aufgabe, unbekannte Autoren und Texte auf die Bühne zu bringen. Und was muss ein TheaterStoff haben, damit er Sie packt? Das kann man so gar nicht sagen, ein Stoff muss dies und jenes haben. Als ich 18 Jahre alt war, habe ich einmal den „Sommernachtstraum” von Shakespeare gelesen und mir damals gedacht: Was ist das denn für ein „Schwampf”? Wie kann denn dieses Stück 400 Jahre über- dauern? Dann war ich später einmal auf einem Faschingsball und beobachtete an der Bar, wie eine Frau, die eigentlich verheiratet war, mit einem anderen herumgeschmust hat. Und dann saß da noch einer mit Eselskopf, der ununterbrochen alle Frauen angemacht hat, und plötzlich ist mir aufgegangen: Das ist der Sommernachtstraum, jetzt habe ich es kapiert. Und plötzlich hat man einen ganz neuen Blick auf das Stück. Beim „Stellvertreter” von Hochhuth wiederum habe ich lange gedacht, das ist zu viel Geschichtsunterricht. Dann kam die Dis- kussion um den Bischof Williamson, der den Holocaust leugnet, und ungefähr zur gleichen Zeit hat der Herr Ratzinger die Judenfürbitte am Karfreitag wiedereingeführt und ich habe mich gefragt, ob die Kirche denn immer noch nicht mit ihrer Geschichte aufgeräumt hat. Manchmal trifft ein Stück einfach den Nerv der Zeit wieder. Der Diri- gent Nikolaus Harnoncourt hat gesagt: Vielleicht sollten wir Mozart zwanzig Jahre nicht spielen, dann können wir ihn ganz neu spielen. Manchmal muss man auch Theaterstücke liegen lassen, die eigentlich gut sind. In der vergangen Spielzeit haben Sie Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald” inszeniert. Wie gehen Sie an solche Stücke ran? Ich werde ja immer wieder gefragt, was „Volkstheater” ist. Und da sage ich meist, ich finde die Frage einen Schmarrn. Der Begriff ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, der ja ganz unterschiedlich auf- gefasst wurde. In der Gründungsurkunde der Volksbühne in Berlin ist von einem Theater gegen die Dekadenz der Herrschenden die Rede. In Bayern hat man Ende des 19. Jahrhunderts gemerkt, dass es eine bestimmte Form von Musik, Theater, Tanz gibt, die verloren geht und die man bewahren wollte. In Deutschland haben wir ja heute das Glück, dass wir in jeder Landeshauptstadt Staatstheater haben, aber wir alle machen heute Theater fürs Volk. Aber es gab einmal eine Befragung von der LMU, was der Münchner unter „Volksthea- ter” versteht, bei der 84 Prozent der Befragten geantwortet haben: Mundarttheater. Daher haben wir auch so Stücke wie die „Geierwally” oder den „Brandner Kaspar” auf die Bühne gebracht. Den Horváth hingegen habe ich lange vor mir hergeschoben, bis ich ihn dann mal wieder gelesen habe. Was haben Sie da entdeckt? Dass er auf ganz wunderbare Weise beschreibt, wie die Leute so sind. Wenn man sich zum Beispiel Valerie anschaut, eine 50-jährige Frau, die immer wieder danebenlangt, wenn sie sich einen jungen Mann anlacht. Oder der Zauberkönig, der frustriert ist, weil überall die klei- nen Geschäfte kaputtgehen und der Spezialist heute gar nicht mehr gefragt ist, wo er doch der Spezialist ist. Solche frustrierten Typen, die dann vielleicht auch noch eine Sehnsucht nach einem dicken Frauenbusen haben, aber da irgendwie nicht hinkommen, die gibt es überall. Und das ist das Lustige: Das Stück ist vor achtzig Jahren ent- standen und heute ist das Repertoire von Leuten immer noch da und da macht es einfach Spaß, sich damit auseinanderzusetzen. Läuft man nun eigentlich Gefahr, sich zurückzulehnen und zu sagen, ich weiß, wie's funktioniert, ich habe die Erfolgsformel für das Theater gefunden? Nein, ich habe sie wirklich nicht. Der Blick aufs Theater verändert sich ständig. Es wachsen junge Leute nach und ich muss immer wieder sehen, wo man Regisseure und Schauspieler trifft, es ist ein ununter- brochenes Suchen. Dann gibt es neue Entwicklungen, zum Beispiel in den vergangenen Jahren verstärkt den Ruf nach Internationalität. Wir sind ein Stadttheater und ich kann nicht bewusst Internationalität ausrufen, sondern so etwas kommt von alleine, man muss nur ein bisschen die Augen aufmachen. Kürzlich habe ich gelesen, wir müssten das Theater für Leute mit Migrationshintergrund öffnen. Das wissen wir längst, zwanzig Prozent unserer Schauspieler und Regisseure haben so einen Migrationshintergrund. Auch ein Konzern wie Apple kann heute nicht sagen, mit dem iPhone haben wir das Erfolgsrezept, das ewig funktioniert. Man muss sich immer wieder aufmachen und Neues ausprobieren. Wie erreicht man das Münchner Theaterpublikum? Es gibt kein Münchner Publikum. Ich glaube, es gibt ein Theater- publikum, aber so eine Stadt ist so vielfältig mit so unterschiedlichen Menschen. Ich glaube, dass man sich nach Molière richten muss, der gesagt hat: Man muss die Leute locken, man muss sie zum Lachen bringen. Wenn die Leute lachen, dann öffnen sich die Köpfe, und wenn die Köpfe offen sind, kann man die Nägel hineinstreuen. Haben Sie das Regietheaterfestival „Radikal Jung” vor acht Jahren eigentlich bewusst ins Leben gerufen, um so immer wieder junge Nachwuchsregisseure ans Haus holen zu können? Das war ein witziger Zufall. Einmal ging ich an mein Bücherregal und habe ein Buch herausgezogen: „Junge Regisseure”. Da wurden zum Beispiel Matthias Hartmann, Christian Stückl, Leander Haußmann und Karin Beier vorgestellt. Da dachte ich mir, das ist abgelaufen, wir machen ein neues Buch. Aber nur ein Buch ist ja auch fad. Wenn, dann will ich die jungen Regisseure sehen, also laden wir die Leute ein. Ich habe mich also auf die Suche gemacht und mit E.ON einen Partner gefunden, der das Festival unterstützt. Das lief so gut, dass daraus 010eine feste Einrichtung wurde. Natürlich ist es daraus entstanden, dass wir von Anfang an sehr viel Wert darauf gelegt haben, junge Leute ans Haus zu holen. Das ist der Grundstock des Volkstheaters: junge Schauspieler, junge Regisseure und das Radikal-Jung-Festival. Das gehört alles zusammen. Wie arbeiten Sie mit den Jungen zusammen? Wie viel Freiheiten hat ein junger Regisseur bei Ihnen? Abdullah Kenan Karaca hat zum Beispiel drei Jahre als Assistent neben mir gesessen und zugesehen, wie ich so Regie führe. Was immer er sich da mitgenommen hat, ich weiß, der Bub ist anders als ich, viel bedächtiger und in sich gekehrter. Ich bekomme das nicht so mit, wie er jetzt Regie führt. Nur kurz vor der Premiere komme ich auf die Probe und will alles am Stück sehen. Ich kann das Ergebnis sehen und sagen, was mir nicht gefällt. Das mache ich auch bei älteren Regisseuren. Die Jungen haben vielleicht manchmal das Gefühl, der ist wie ein Papa, aber ich bin ja auch in der Verantwortung gegenüber dem Haus. Ich finde es gut, wenn die Jungen auf mich hören, aber ich muss mir auch immer wieder vergegenwärtigen, dass sie durch ihr Alter anders erzählen als ich. Meine Aufgabe ist es, einen guten Weg zu finden, deren Arbeit zu bewerten und Sachen auch mal stehenzu- lassen, die ich vielleicht nicht so machen würde. Das ist manchmal gar nicht leicht, aber ich arbeite schon wahnsinnig gerne mit jungen Leuten zusammen. Zuletzt haben Sie sich für einen Neubau für das Volkstheater ausgesprochen. Warum? Das Haus ist seit gut dreißig Jahren an diesem Ort. Bis zu meiner Übernahme im Jahr 2002 gab es im Stadtrat Leute, die gefragt haben: Braucht München neben den Kammerspielen und dem Residenz- theater noch ein Theater? Daher hat man nie wirklich in dieses Haus investiert. Das Gebäude wurde als Mehrzweckhalle und nie als Theater gebaut, die Gebäudeteile haben wir von sieben verschiedenen Mietern zusammengemietet. Als kürzlich ein Mieter gekündigt hat, hätte unsdas beinahe die Luft abgedreht. Daraufhin haben wir über einen Umbau nachgedacht und eine Statikprüfung vornehmen lassen, bei der herauskam, dass das Haus grundsaniert werden müsste. Nun muss man im zweistelligen Millionenbereich investieren in ein Haus, das einem nicht selbst gehört. Da sage ich, und das ist mittlerweile, glaube ich, auch die Meinung im Stadtrat, dass man neu bauen muss. Seitdem ich hier bin, redet ja auch kein Mensch mehr von der Schließung, sondern jeder weiß: Das Haus ist voll, es ist gewollt von den Leuten. Und jetzt müssen wir darüber nachdenken, wie die Zukunft aussieht. Und der Schlachthof wäre die ideale Lösung? Ich finde, der Schlachthof ist im Moment die einzige gangbare Lösung, aber es darf schon ruhig noch jemand eine Idee haben. Klar ist aber auch, das Theater gehört in die Stadt. Die Leute sollen von außen in die Mitte kommen, von der Mitte nach außen fährt ja niemand. Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, noch einmal woandershinzugehen? Ja, aber dann nur in eine richtig große Stadt. Auf der anderen Seite bin ich hier auch extrem verwurzelt. Und wenn man sich wo wohl- fühlt, dann kann man auch sagen, ich bleibe gerne hier. Vielleicht sagt irgendjemand einmal: Jetzt wird's aber Zeit, dass er mal geht. Dann muss er es halt sagen (lacht). Oder man muss es selber merken. Aber eigentlich bin ich wahnsinnig gerne hier. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stückl. „Ich habe einen Traum”: Im „Volksmund”, dem aktuellen Spielzeitheft des Münchner Volks theaters, plädiert Christian Stückl für einen Neubau des Theaters auf dem Schlachthof gelände. Interview | Christian Stückl Fotos: Gabriela Neeb 011Schmuck-Kultur | Galerie Isabella Hund Foto: Thomas Koller 012Galerie Isabella Hund gallery for contemporary jewellery www.isabellahund.de Frauenplatz 13 Eingang Schäfflerstraße 80331 München T: +49 (89) 29160717 013Erstklassiger Gin aus München. Eine schöne Schnapsidee. Ein edler Gin muss nicht unbedingt in London destilliert sein – es kann auch München sein. Für den Munich Dry Gin THE DUKE werden die verwendeten Kräuter und Gewürze mit größter Sorgfalt ausgewählt und aus rein biologischem Anbau bezogen. Die vollmundigen Aromen unbehandelter Wacholderbeeren sind einfach nicht zu übertreffen. Koriander, Zitronenschalen, Angelikawurzel, Lavendelblüten, Ingwer- wurzel, Orangenblüten, Kubebenpfeffer und – als genuin bayerischen Einschlag – Hopfenblüten und Malz runden den vollen Geschmack von THE DUKE ab. Sein starker Charakter prädestiniert ihn für die Ver- wendung bei Drinks. 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