< PreviousDesign will die Gesellschaft verändern. Interview | Dr. Angelika Nollert 0110Die Münchner Pinakothek der Moderne ist ein sehr besonderer Bau. Gleich vier Museen haben hier, Betonwand an Betonwand, ihre Heimat gefunden. Die Staatsgemäl- desammlung, das Architekturmu- seum, die Graphische Sammlung und das Designmuseum, die sogenannte Neue Sammlung. Diese bietet einen einzigartigen Überblick über viele Jahrzehnte Designgeschichte. Die Direktorin der Neuen Sammlung, Dr. Angelika Nollert, ist eine interna- tional renommierte Kunsthistorikerin und Designexpertin. Einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit liegt auf der zeitgeschichtlichen Einordnung von Design in gesellschaftliche Strö- mungen und Entwicklungen. Design ohne den Anspruch, Gesellschaft verbessern zu wollen und nachhaltig zu sein, kann für Nollert kein gutes Design sein. Frau Dr. Nollert, gleich zu Beginn eine schöne Koinzidenz: Die Neue Sammlung, die früher im gleichen Gebäude wie das Bayerische Nationalmuseum untergebracht war, wurde 1925 gegründet. Das gleiche Jahr, in dem auch das Bauhaus nach Dessau übersiedeln musste … Ja! Die ersten Inventarlisten zeigen, dass die Neue Sammlung da- mals direkt dort vor Ort angekauft hat. Das ist sehr schön und für seinerzeitige Verhältnisse ungewöhnlich, da unser Haus sich vom Sammlungsaspekt her immer auch zeitgenössisch verstanden hat. Andere Häuser im Bereich der angewandten Kunst, etwa das Victoria and Albert Museum in London oder das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, beides fantastische Häuser, haben immer schon auch rückbezogen gesammelt und fußen auf histori- schen Sammlungen, ihr Bestand reicht bis in die Antike. Die Neue Sammlung dagegen war seit ihrer Gründung zeitgenössisch orien- tiert und hat einen anderen programmatischen Anspruch. Hier im Haus lebt das Design mit der Architektur in schöner räumlicher Nähe zur Kunst. Der Kunsthistoriker und Kurator Hubertus Butin schrieb vor ein paar Jahren in der F.A.Z.: "Die Mauer ist eingerissen. Die Grenze zwischen Kunst und Design existiert nicht mehr." Trifft das zu? Ich schätze Hubertus Butin, und allgemein betrachtet würde ich sagen, er hat recht. Aber ich denke, man muss zur Frage des Ver- hältnisses zwischen Kunst und Design sehr genau abwägen. Die freie Kunst ist von ihrem Herkommen her ganz anders definiert als die angewandte Kunst, respektive das Design, dennoch können sich die Bereiche überlappen. Ein Beispiel: Wir hatten vor Kurzem eine Ausstellung mit der Keramikerin Beate Kuhn. Kuhn kommt aus dem angewandten Bereich der Gefäßkeramik, aber das, was wir jetzt sehen, sind Objektskulpturen, und damit handelt es sich eigentlich schon um freie Kunst. Kuhn ist eine Keramikerin, die handwerklich und im angewandten Sinne gelernt hat, Gefäße und Vasen zu schaffen, später aber arbeitete sie objekthaft. Ich glaube, diese Ausstellung könnte sinnvoll auch in einem Museum für freie Kunst gezeigt werden. Dann gibt es natürlich auch Positionen, die aus der freien Kunst kommen. Ein Tobias Rehberger, ein Jorge Pardo, eine Pae White, ein Jim Isermann, ein Liam Gillick, sie haben auch Tische, Bänke, Inneneinrichtungen und Interiordesign geschaffen – dennoch würde ich sie nicht als Designer bezeichnen. Design ist prinzipiell industriell gefertigt, wird prinzipiell in höhe - rer Stückzahl produziert und hat prinzipiell eine Benutzbarkeit, es macht sich einem Zweck dienstbar. Im Gegensatz zum Design beschreibt das Kunsthandwerk das manuell Gefertigte und das Unikathafte. Trotz der Entgrenzungen zwischen Kunst und Design bzw. Kunsthandwerk würde ich übrigens nicht sagen, dass es eine neue Berufsgruppe gibt, etwa die Kunst-Designer oder die Design-Künstler – die Vertreter beider Richtungen kommen viel- mehr aus ihren jeweiligen selbstgewählten Bereichen heraus. Ein Künstler kann Unikate und Editionen machen, ein Designer kann Massenprodukte gestalten oder auch kleine Auflagen herstellen. Es gibt den aktuellen Trend im Design, massenproduzierbare Dinge zu individualisieren. Steelcase hat mit "LessThanFive" einen Leichtgewichts-Konferenzstuhl aus Karbon herausgebracht, den Sie als Käufer customized bestellen können, das heißt, Sie können über ein Computerprogramm selbst eine spezifische Lackierung bestimmen. Eine Definition von Design beruht auf der mantrahaft wiederhol- ten Formel "form follows function". Es gibt ja auch Designer, die sich mit der reinen Zweckorientierung nicht mehr zufriedenge- ben, sondern sie bewusst zu überschreiten versuchen. Dieses Mantra kommt schon aus der Idee einer Arts-and-Crafts- Bewegung, dann aus der Bauhaustradition bis hin zur Ulmer Hoch- Interview: Paul Wagner, Foto: Daniel Breidt 0111schule für Gestaltung. Seinerzeit war es eine Auflehnung gegen den schlechten Geschmack des Historismus. Man sah, dass sich die Industrie immer weiterentwickelte und fragte sich, wie man es schaffen könne, für die Möglichkeiten industrieller Herstellung adäquate gute Formen zu entwickeln. Diese Objekte sollten auch preiswert sein, damit sie sich möglichst viele Menschen leisten konnten – was leider vielfach nicht umgesetzt wurde. Die Gestal- tung wurde reduziert, man hat Grundformen eingesetzt, man hat das Ornament weggelassen. "Form follows function" und später das Credo der "Guten Form" ist etwas, das uns bis heute prägt. Man erwartet von Gebrauchsobjekten eine Zweckform und Funk- tionalität. Ein Konstantin Grcic ironisierte diese Haltung im Titel seiner Ausstellung für die Neue Sammlung. Er nannte sie nach dem Kinofilm "The Good, the Bad and the Ugly" und fragte: Wer definiert eigentlich, was die Gute Form ist? Wer legt fest, was das Schlechte und das Böse ist? Auch die italienische Designbewegung "Memphis" mit Ettore Sottsass und Alessandro Mendini haben sich mit ihren farbenfrohen und verspielten Entwürfen gegen die- ses Dogma der Guten Form aufgelehnt und gefragt: warum darf ein Tisch, ein Sofa nicht auch bunt und lustig sein? Gestaltungs- ideen basieren auch häufig auf der Entwicklung neuer Werkstoffe, die neue Möglichkeiten boten. Thonet entwickelte ein Verfahren, Holz zu biegen und erfand das für sie typische Bugholzmöbel. Im Bauhaus arbeitete man mit gebogenem Stahlrohr an neuartigen Möbelformen, mit Kunststoff wurden in den 60er Jahren homo- gene Formen möglich wie die berühmten Stühle von Verner Pan- ton. Heute ermöglicht Karbon hauchdünne und gleichzeitig stabile Formen wie die Schaukel-Liege von Ron Arad. Sie sagten, der Designer ist von seinem Ursprung her ein Desi- gner, der Künstler ein Künstler, auch wenn die Bereiche dazwi- schen ineinander übergehen. Ron Arad würde das wohl auch erfüllen? Ron Arad ist ein gutes Beispiel. Er würde sich nicht als Künstler verstehen, sondern auf jeden Fall als Designer. Einer, der zwar auch industriell produzierbare Stücke herstellt, die auf dem Markt für kleineres Geld zu bekommen sind. Aber eben auch Kleinst- auflagen, die gleich Zehntausende von Euros kosten. Das sind dann Sammlerstücke, die sich der Normalverbraucher nicht mehr leisten kann. Sie haben etwas Skulpturales, sind aber immer noch nutzbar und immer noch unter Design zu fassen. Das ist vielleicht wie bei einem Auto. Da gibt es Modelle, die sind je nach Material oder Seltenheit entsprechend hochpreisig – aber sie sollten auch fahren können. Welche Rolle spielt die Emotion beim Design? Wir leben in einer Zeit, in der das Emotionale sehr stark an Wert gewinnt und auch die Erzählung, das Narrativ wesentlich werden. Aus der Politik wurde ja der Begriff "postfaktisches Zeitalter" geprägt, was signalisiert, dass die Emotion die Ratio vielfach über- steigt. Wenn man sich auf Möbelmessen umschaut, sieht man, dass Holz wieder sehr wichtig geworden ist. Holz ist warm und solide, es arbeitet ein bisschen, man schätzt die gute Schreiners- kunst. Wir leben in einer Zeit, wo wir wieder edle Materialien und hochwertige Verarbeitung wertschätzen, Glas, Messing und Kup- fer, Tapete und Teppich. Das alles erlebt wieder eine Renaissance. Man richtet sich wieder "gemütlicher" ein, wobei das Gemütliche einen klassischen Anspruch besitzt. Woher kommt so etwas? Ich würde die Behauptung aufstellen wollen, dass die globale Situa- tion damit zu tun hat.Wir haben viele Kriege in der Welt, wir erle- ben Situationen der Krise, so besinnt man sich wieder auf etwas, das Materialwert besitzt, man investiert vielleicht auch wieder mehr in die eigenen vier Wände. Dies geht einher mit einer großen Liebe zu Retrodesign und Designzitaten. Designklassiker werden neu aufgelegt wie Mies van der Rohe oder Eileen Gray. Allerdings: Wie in der Mode ist heute im Design eine Vielzahl an Paralleler- scheinungen möglich. Auch dies ist typisch für unser Zeitalter. Vor der Pinakothek der Moderne steht momentan ein beson- deres Stück Architektur, das Futurohaus des finnischen Archi- tekten Matti Suuronen von 1968. Es stammt aus einer Zeit, in der Design einen umfassenden Anspruch hatte, nämlich Gesell- schaft zu gestalten. Was begeistert Sie an diesem Objekt? 1968 ist das Jahr großer Umbrüche und Widersprüche. Die Studen- tenunruhen, die Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy. Es ist die Zeit der Aufrüstung schlechthin, man hatte einen gewaltigen atomaren Waffenbestand, man hatte Angst vor einem dritten Weltkrieg, man war mitten im Vietnamkrieg. An- dererseits oder gerade deshalb beschäftigte man sich mit Fragen der Freiheit, der Emanzipation, es gab Feminismusdebatten. Man fühlte: Die Gesellschaft muss sich ändern! Dazu kam eine Technik- gläubigkeit und eine große Zuversicht in die Entwicklung der Technologie. Denken Sie an das Apollo-Programm zur Mondlan- dung. Das alles versinnbildlicht das Futurohaus. Es ist aus leich- tem Kunststoff gefertigt, man konnte es mit dem Hubschrauber schnell überall hinbringen. Man konnte damit Häuser an Stellen errichten, an denen der Mensch eigentlich nicht wohnen konnte. Das war eine Errungenschaft. Das Futurohaus war technologisch auf dem Zenit seiner Zeit. Das Jahr 1968 war zwar voller Wider- sprüche, aber man hatte die Vision einer Welt, die man mit Design verbessern konnte. Auch die freie Kunst, die Literatur oder die Musik geben ein Statement zur Welt ab. Das Design aber kann mit seinen Entwürfen direkt etwas für die Gesellschaft tun, die Men- schen verändern, einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten. Das ist etwas, das Design im Gegensatz zu vielen anderen Kunst- und Kulturerscheinungen ganz unmittelbar erreicht. Vielen Dank für das Gespräch. 0112Interview | Dr. Angelika Nollert Foto: Daniel Breidt Neue Sammlung Designmuseum die-neue-sammlung.de Pinakothek der Moderne Barer Str. 40 80333 München 0113David_L, 2017 Licht_1, 2017 0114RuppenEntwien Fuzzy be praised! Decke_1, 2018 Stahlfront, 2017 0115Metall-Kultur | Weave Art by Thomas Räpke Weave Art by Thomas Räpke www.weaveart.de Albanistr. 3 81541 München T: +49 (89) 50 22 332 0116Bilder aus geflochtenem Metall. Messing, Kupfer, Edelstahl, Titan. Die Arbeiten von Thomas Räpke haben Gewicht. Sie werden in einem komplexen und hohe Kräfte erfordernden Prozess aus geprägten und verflochteten Metallbändern geschaffen. Die Oberflächen erhalten ihre einzigartige Struktur durch Feuer und Flamme. Ein spezielles Kantverfahren lässt 3-dimensionale Körper entstehen. Mehrere Wochen vergehen bis ein WeaveArt Kunstwerk abgeschlossen ist. Bei Thomas Räpke entstehen Objekte bis zu einer Größe von 300x200x6 cm. 01170117Holz-Kultur | Schreinerei Josef Eham 0118O’gseift is. 0119Next >